(Plop Online Comics, hier klicken)  
Anmerkung: Das da unten sind alte Comic-Besprechungen die im Comic Fanzine 'Plop' erschienen. Die meisten sind von Andreas Alt ('aa') verfasst. Natürlich sind die Angaben nicht mehr gütig, Hefte vergriffen, Zeichner umgezogen, Währung geändert etc. Aber für den einen oder anderen vielleicht ganz interessant hier zu schmökern...

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 60 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75



Plop 40
Besprechungen



Zebra # 12. Georg K. Berres, Gisel-herstraße 19 50739 Köln. 40 Seiten, schwarz-weiß,  Din A4. 4,50 DM.
 
Über Zebra zu schreiben, hatte bisher immer den Haken, daß jede Ausgabe gleich gut war (bin ich froh, daß ich's bisher nicht machen mußte). Zebra # 12 ist anders. Nicht, daß dieses Heft nun im Vergleich zu den vorherigen abfällt. Aber es ist eine Jubiläumsausgabe. Zehn Jahre Zebra bedeuten: nur 16 reguläre Comicseiten, dazu viele, viele Glückwunschzuschriften, zum Beispiel von Heike Anacker, Bia Biafra, Martin Frei, Hartmut Klotzbücher, Jo84 und Kim Schmidt. Wie wir die Dame und Herren kennen, schreiben die nicht bloß "Alles Liebe zum Fest" oder so ähnlich. Die liefern zum Teil ausgewachsene fünfseitige Comics. Und so ist dieses Zebra zum bisher buntesten, abwechslungsreichsten und damit kurzweiligsten geworden. Sogar Altmeister Volker Reiche hat eine Seite beigesteuert und Comic-Professor Wolfgang J. Fuchs, der anscheinend selber auch zeichnen kann. Jedoch ist die Feststimmung mit etwas Melancholie durchsetzt. Die traditionelle Vorschau auf der letzten Seite bleibt unverbindlich wie nie zuvor. Der Zebra-Crew behagt zwar der wehmütige Rückblick auf zehn Jahre Comic-Geschichte, aber größer denn je sind die Zweifel, ob's denn auch weitergeht ins nächste Zebra-Jahrzehnt. Die neue Ausgabe zeigt da nur einen Weg auf: Mehr Gastbeiträge aus der beachtlich großen Fangemeinde. Aber ob ein Zebra ohne Dominanz der Berres/Perez/Goger/Kreutzner wohl stattfinden wird? Naja, das sind typisch skeptische Kritiker-Spekulationen. Warten wir stattdessen lieber auf Zebra # 13. Die hier besprochene Ausgabe habe ich mir übrigens beim Comicsalon in Köln selbst besorgt. Kein Wunder: Daß ich nun in PLOP rezensiere, konnten die Zebra-Leute nicht wissen. Mir war an dieser Besprechung gelegen, da ich damit eine alte Schuld abzutragen hoffe. Die Sache liegt so lange zurück, daß sie womöglich längst vergessen ist. Mir aber bereitet sie immer noch Magengrimmen. 1987/88 forderte die Zebra-Crew bei mir einige Exemplare des eben erschienenen zweiten Amateurcomic-Readers an. Dafür hatte ich ja auch kräftig Werbung gemacht. Leider war die Resonanz sonst äußerst dürftig, präziser: Die Kölner waren die einzigen, die überhaupt Reader bei mir bestellten. Nachdem von dem Massenversand, mit dem ich gerechnet hatte, keine Rede sein konnte, verlor ich auch diese eine Order aus dem Gedächtnis - bis sich Georg Berres wieder bei mir meldete. Aber statt mich mit Verwünschungen zu überziehen, mutmaßte er, der Reader sei wohl schon ausverkauft. Über meinen Fauxpas bin ich nie so ganz hinweggekommen. Naja, vielleicht kann ich ja jetzt wieder ruhig schlafen. aa
 
si-kartuun # 8. Michael Groenewald, Zum Bernstein 22, Siegen. 84 Sei-ten, schwarz-weiß, Cover zweifarbig, Din A4, 6 DM.
 
Noch ein Wackelkandidat. Bei der PLOP-Party vergangenen November in Düsseldorf war von den si-kartuunern zu hören, es werde wohl keine weiteren Ausgaben geben. Zum einen ist einer der maßgeblichen Macher des Hefts Matthias Langer von Siegen nach Köln gezogen. Zum anderen sollen dem si-kartuun nach dem Überraschungserfolg in Siegen einige Konkurrenten erwachsen sein, so daß der Anzeigenkuchen zur Finanzierung nicht mehr ausreiche. Letzteres allerdings ist kaum zu glauben. Schwer vorstellbar, daß jemand in Siegen so mirnichts dirnichts ein vergleichbares Magazin auf die Beine stellt. si-kartuun versammelt einige der besten Undergroundzeichner, wie das etwa Ende der 70er Jahre in Zomix und Anfang der 80er in Hinz-und-Kunz-Comix geschah. Der Akzent liegt hier eindeutig auf kurzen Gags, wenn auch in der neuen Ausgabe etwa der Zwölfseiter "Unternehmen Fehlschlag" von Bia Biafra und Jürgen Raatz darunter ist. Wer ist sonst dabei? Aus PLOP kennen wir noch (mindestens) Hartmut Klotzbücher, Kim Schmidt, Marcus Frede, Mathias Dinter und Jo Guhde. Des weiteren Altmeister Willi Blöss, Niels Fliegner (MAD) und Hansi Kiefersauer. Außerdem als Beilage (wenn mir da nicht meine Unterlagen durcheinandergeraten sind) ein wilder Jam-Comic namens "Hartmut" von Marcus Frede, Niels Fliegner, Thomas Harske, Bia Schaaff, Egon Lebt, Robert Sladek, Heinz Wolf, Stefan Neuwinger und Nicolas Mahler. Besonders bedauerlich ist es im Fall dieses Magazins, daß es so schwer ist, eine bundesweite Verbreitung sicherzustellen. si-kartuun wäre eine Zierde für jeden Bahnhofskiosk. Wie hat das Robert Crumb bloß gemacht, nachdem er seine ersten Hefte persönlich an der High School verkauft hatte? aa
 
Klaus Jesinger, Achim H. Sauer (Text), Holger Bommer (Zeichnungen): Ferdinand der Verführer & Edgar der Erdverbundene. Amigo Comics Holger Bommer, Starenweg 18, 73730 Eßlingen. 56 Seiten, schwarz-weiß, Vierfarbcover, Albumformat, 14,80 DM.
 
Sie saßen zu dritt am Kartentisch: Besagter Ferdinand, besagter Edgar sowie ein gewisser Guntram der Gutfrisierte, für den offenbar im Titel kein Platz mehr war. Beim Zocken sind alle drei gleich wichtig. Edgar gewinnt meist, und Guntram schafft es meist, nicht die nächste Runde zahlen zu müssen. Soweit aber die Handlung vorangetrieben wird, steht Ferdinand im Mittelpunkt des Interesses. Ferdinand nämlich hat sich in Dolores verliebt, die "gleich neben dem Schnapsladen" wohnt, der "neben dem Bordell steht". Verständlich also, warum sein Auge gerade auf Dolores gefallen ist. Soweit er nicht mit Edgar und Guntram am Kartentisch sitzt, bemüht sich Ferdinand, Dolores seine Liebe zu gestehen. Jeder, der sich schon mal in ein Mädchen verliebt hat, weiß, wie schwierig das sein kann. In dem Album spielen auch Tiere eine wichtige Rolle. In erster Linie Hunde: Fido von Fallersleben (aufblasbar), Zorro der Wunderhund, aber auch gefräßige Ziegen und Krokodile, ein Elefant namens Bonzo, ein Hirsch und ein Bär. Außerdem hören wir einige Geschichten, wie sie am Kartentisch erzählt zu werden pflegen. Da weder die Charakterzeichnung der Protagonisten noch der Fortgang der Handlung besondere Konzentration erfordert, läßt sich das Album flüssig und zügig durchlesen. Manchmal keimt der Verdacht, die Geschichte sei aus vier oder fünf Versatzstücken zusammengebosselt. Trotzdem wirkt sie bruchlos. Der Zeichner hat so gearbeitet, daß er während der Entstehungszeit des Albums möglichst wenig vom Kartenspielen abgehalten wurde. Abgesehen von der kompromißlosen Einfachheit fällt die Grafik aber nicht weiter unangenehm auf. Damit wäre soweit alles gesagt Ich möchte mit einem Zitat schließen, das ich mir mal von einem Plattencover einer Band namens "Tiny Giants" notiert habe. Vielleicht paßt es nicht so ganz hierher, aber das ist für diese Kritik unerheblich. Es lautet: "Du sagst: Ich liebe die Blumen. Aber du pflückst sie. Ich liebe die Bäume. Aber du sperrst sie ein. Ich liebe die Tiere. Aber du ißt sie. Nun habe ich Angst, du sagst zu mir: Ich liebe dich!" aa
 
Au Weia # 5. Kringel Comics, Hartmut Klotzbücher, Herderstraße 10, 70734 Fellbach. 52 Seiten, schwarz-weiß mit farbigem Titelaufkleber, Din A5, 3,50 DM.
 
Zur totalen Demontage hatte er seine Geschichte viel zu lieb, schrieb kürzlich Hans Günther Pflaum über Mel Brooks neue Parodie "Robin Hood - Men in Tights". So könnte auch mein vorweggenommenes Fazit über Haggis neues Werk lauten. Untertitel: "Das gottesglatte Comic-Magazin". Sein Stoff stammt aus der Thora, genauer gesagt aus dem erste Buch Moses, Kapitel vier bis zwölf. Dort wird im wesentlichen die Geschichte von Noah und der Sintflut erzählt und der Beginn der Lebensgeschichte von Abraham. Den noch bekannteren Anfang der Bibel, die Erschaffung der Welt und die Vertreibung aus dem Paradies, hat Haggi bereits auf 29 Seiten in früheren Au Weia-Ausgaben verarbeitet. Diese Bibelversion ist weder so unerträglich salbungsvoll geraten wie manche seriösen Werke noch so bösartig blasphemisch wie viele Sachen aus dem Cartoon- und Comicbereich. Sie liegt ziemlich in der Mitte dazwischen. Einerseits ist Haggi der Text so wichtig, daß er ihn bis in die Details nachzeichnet (nur bei den exzessivsten Ahntentafeln erlaubt er sich schon mal, ein paar Zeilen zu überspringen). Andererseits macht er jene Eigenheiten der Überlieferung zur Zielscheibe seines Spotts, die nach ein paar tausend Jahren nicht mehr ohne weiteres verständlich sind. Beinahe rührend wiederum erscheinen seine Überlegungen, wie die Sintflut eigentlich die Meerestiere auslöschen konnte - darüber diskutiert ein Mensch des wissenschaftlichen Zeitalters schon gar nicht mehr. Mit Au Weia # 5 hat Haggi nun summa summarum 76 Seiten Bibelcomics aufgehäuft. Mal sehen, wie das weitergeht - die Fortsetzung der Geschichte Abrahams ist bereits angekündigt. Wollte er das gesamte Alte Testament auf diese Weise vercomixen, so würden rund 8000 Seiten zusammenkommen. Beschränkte sich Haggi auf das erste Buch Moses, die Genesis, so wäre er, überschlägig gerechnet, bereits nach 420 Seiten fertig. Eine vermutlich beinahe überflüssige Bemerkung zum Schluß: Diese Ausgabe, die Haggi im Alleingang bestreitet, bringt makellos gedruckt und geheftet vorzüglich gezeichnete Comics zu einem vergleichsweise günstigen Preis. War aus Fellbach etwas anderes zu erwarten? aa
 
cOMIc ## 9, 10 und 11. Gerd Bonau, Waldweg 19, 24351 Damp. Je 28 Seiten, schwarz-weiß, Din A5. 2,50 DM (Nachbestellung der Back-Issues a` 2,- teilweise möglich).
 
Leider ist die Gefahr groß, über dieses Magazin auf eine Weise zu schreiben, die unweigerlich negativ klingt. Dinge wie etwa: Kein Konzept, Ablage für Gelegenheitsarbeiten, die sonst keiner drucken würde. Das trifft zwar zu. Dennoch habe ich die Hefte mit Gewinn durchgeblättert. Das liegt zum einen daran, daß hier nicht irgendwer seinen Abfall ablädt, sondern "erste Adressen" aus dem Fandom wie Heike Anacker, Anja + Joy, Kim Schmidt, Jürgen Raatz oder Thomas Harske. Mitunter findet man dazwischen sogar Sachen von Felix oder - man höre und staune - von Scott Hampton. Ich kam mir vor wie beim Kramen in einem vollgestopften Antiquariat, wo man auch Bücher, die man letztlich nicht kauft, gern mal zur Hand nimmt. Zum anderen - und so gesehen ist der Vergleich mit einem vollgestopften Antiquariat irreführend - präsentiert Gerd Bonau sein Material übersichtlich und mit Gefühl für die Wirkung der Einzelseite. So lädt er zum Betrachten ein und wertet auch noch flüchtig hingekritzelte Zeichnungen auf. Also doch ein Konzept, würde ich meinen. aa
 
Mathias und Stefan Dinter: Bolf Akim Asylum. Zwerchfell Verlag, Christian Heesch, Tonndorfer Strand, Hamburg. 76 Seiten, schwarz-weiß, Vierfarbcover, Piccoloformat, 6,- DM.
 
Dieses Werk ist schon etwas älter. Aber erst beim jüngsten Comictauschtag im Herbst in Köln habe ich's erworben. Zunächst ist das ein dicker, luxuriöser Piccolo mit gewohnt sauberer Dinter-Grafik, erhältlich mit drei verschiedenen Covern (was aber nur daran liegt, wie mir Andreas Anger mal verriet, daß man am besten im Prinzip ein Din A4-Heft produziert und daraus dann drei Piccolos schneidet). Der Titel signalisiert, daß hier zwei Comiclinien miteinander verknüpft werden: der eigenwillige, Maßstäbe setzende Stil von Dave McKean und der eigenwillige, Maßstäbe setzende Stil von Hansrudi Wäscher. Welch denkwürdige Entwicklungsmöglichkeiten bietet diese Kombination! Doch verschenkt - nach zehn Seiten, die Meister McKean nicht besser hingekriegt hätte, nimmt ein konventionelles Bolf-Abenteuer seinen Lauf, anspielungsreich und witzig, aber ohne die kleinste Spur vom McKean-Touch, sondern Wäscher, nur besser. Die Aufgabe, das Beste der amerikanischen Comic-Tradition mit dem Besten aus Deutschland zusammenzuführen, bleibt also einem künftigen Comiczeichner vorbehalten. Abgerundet wird der Band mit einer bunt zusammengewürfelten Bolf-Galerie, die nach meiner Erinnerung im wesentlichen bei der ersten PLOP-Party Anfang 1992 entstanden ist. Fazit: Viel Bolf fürs Geld, unverzichtbar für den Bolfianer, kein Fehler für andere Comicfans, den Band zu erwerben, nicht zu empfehlen nur für diejenigen, die unablässige Sex-Exzesse und derben Humor nicht komisch finden. aa
 
Filmriß # 2. Amigo Comics Holger Bommer, Starenweg 18, 73730 Esslingen. 44 Seiten, schwarz weiß, Din A4. 7 Mark.
 
Beinahe eine Zwei-Mann-Produktion. Andreas Mergenthaler und Holger Bommer, die einen Großteil des Hefts allein bestreiten, sind denn auch im Impressum als "Redakteure" aufgeführt. Mergenthaler dominiert den Band mit einer monumentalen 17-Seiten-Geschichte um einen glatzköpfigen Actionheld namens McDrive mit dem sinnigen Titel "Overdrive". Die Story beginnt ein wenig unvermittelt, das schadet aber nichts, denn der Held purzelt von einer Kalamität in die nächste. Das ganze ist aufwendig und bildmächtig unter Zuhilfenahme von Rasterfolie gezeichnet und erinnert an den frühen Corben. Der zweite Mergenthaler-Comic "Besuch von guten Freunden" ist kürzer, strenger, mehr sophisticated (es geht um großmäulige US-Amerikaner und ihr Verhältnis zu den an den Rand gedrängten Ureinwohnern). Zeichnerisch scheinen hier frankobelgische Vorbilder der ersten Garnitur durch, vor allem Hermann. Also, der Mergenthaler kann schon was; ich würde mal sagen: Der ist nur einen Tick von einem richtig guten Zeichner entfernt. Die Holger-Bommer-Comics sind von einfacher Machart und ziemlich witzig. Sie handeln von der Absurdität des Alltags im Büro, im heimischen Wohnzimmer, im Weltraum und auf der Straße. Und dann gibt es in "Filmriß" noch kürzere Beiträge von Jochen Kauffmann aus Denkendorf. Seine "Sito"-Strips sind besetzt mit Vogel und Wurm und funktionieren getreu dem Tex-Avery-Motto: "The early Bird dood it!" Und dann streiten sich noch zwei Aborigines um das Ei des Kolumbus. Alles ziemlich gut gezeichnet. Der Magazin-Teil "Filmschnipsel" ist arg kurz ausgefallen und läßt leider kaum Rückschlüsse auf  das Redaktionsteam im Hintergrund zu. Aber vielleicht hören wir ja bald mehr von "Amigo Comics". Aa
 
Max Cabanes: Die Zeit der Halbstarken. 64 Seiten, vierfarbig, Hardcover, Albumformat. Carlsen lux,´39,90 DM.
 
Es ist wie im Märchen. Max steht versunken vor dem Schaufenster einer Musikalienhandlung, als Marina die Straße betritt. Sie hat sich gerade die neue Single der Chausettes Noires gekauft. Zwei Blicke treffen einander, und das Wunder ist geschehen: Liebe auf den ersten Blick. Hand in Hand schwebt das Paar durch den tiefblauen Sommerhimmel in einen Park am Rande der Stadt, wo Marina bereitwillig und freizügig für Max' Zeichenblock posiert. Nur als sie ihn plötzlich fragt, ob er eine Vespa besitze, muß er verneinen - und im selben Augenblick erweist sich das ganze Geschehen als Wunschtraum: Max steht immer noch vor der Musikalienhandlung und schaut der schönen Unbekannten nach, die zu dem einige Meter entfernt wartenden Motorroller ihres Freundes eilt. Sinnliches Verlangen, das an der Klippe der Wirklichkeit zerschellt und, wenn überhaupt, seine Erfüllung nur auf Umwegen, in Ersatzhandlungen findet: darum ging es bereits in Max Cabanes' Erfolgsalbum "Herzklopfen" (deutsch 1990). Mit einer in den Comics nicht eben häufigen Kraft zur poetischen Vergegenwärtigung schilderte der französische Künstler dort, stark autobiographisch akzentuiert, die Erlebnisse eines Jungen in der verwirrenden Übergangsphase zwischen Kindheit und Pubertät. "Herzklopfen" zog seinen eigentümlichen Reiz aus den Spannungskreisen, die Cabanes, vor allem in den ersten beiden Episoden des Albums, aufzubauen verstand. Zugleich durchtrieben und naiv, frühreif und unschuldig suchte der kleine Maxou in den Mädchen und Frauen seiner Umgebung halb noch die früh verstorbene Mutter, halb begehrte er sie schon als Mann. In "Die Zeit der Halbstarken" ist aus ihm der 15jährige Max geworden. Béziers in Südfrankreich, Anfang der 60er Jahre. Eine kleine Welt, in der, neben der sich die Jugendlichen eine noch kleinere, eigene Welt errichten, deren vier Himmelsrichtungen Mode, Musik, Motorräder und Mädchen sind. Die Stars der Leinwand liefern die Vorbilder für das richtige Verhalten. Der 'Alte', Leitwolf des Trios, zu dem Max gehört, vermag sie am besten zu imitieren: "Ein Lächeln wie ein Springmesser, das bei Newman anfängt und bei Wayne aufhört; der Yul-Brynner-Gang, der dich die Straßenseite wechseln läßt; ein Killerblick wie Van Cleef. Aber was das Allerwichtigste ist: der Alte redet wenig. Wie Weissmuller." Mit liebevoller Genauigkeit rekonstruiert Cabanes die Welt von Gestern. Wir lernen, daß die Gitarrenmarke "Eko" der Marke "Ohio" unterlegen und dieser wiederum die "Egmond" vorzuziehen war; wir erfahren, welches Haargel man damals benutzte, wieviel eine Jeans kostete, und daß die Schlaghose eine sensationelle Kreation war. "Souvenir, Souvenir" - dieser Schlager, der auf einer Party aus dem Transistor tönt, ist das geheime Leitmotiv des Albums. Genau deshalb ist es freilich recht fad zu lesen. Nicht, daß Cabanes keine durchgehende Geschichte erzählt, sondern nur lässig eine Handvoll Episoden aneinanderreiht, wirkt störend. Dies war schon in "Herzklopfen" der Fall. Aber er hat nichts mehr mitzuteilen. Nichts außer der Botschaft, wie wunderschön damals alles war. Im milden Licht der Erinnerung geraten dem Autor die Stadt und Landschaft seiner Jugend zu einer von ewig blauem, meist sommerlichem Himmel überwölbten Insel der Seligen. Hier gibt es keine Eltern und keinen Zwang zum Lernen oder Geldverdienen. Die Mädchen haben überwiegend das Gesicht von Brigitte Bardot und die Figur von Anita Ekberg, sehen ausnahmslos aber aus, als seien sie dem Cover der "Vogue" entsprungen. Es ist eine Welt ohne Schmerz, in der sich nach und nach auch die einzigen ernsthaften Nöte des Protagonisten, seine erotischen Nöte, fast beiläufig lösen. Nur in einem kleinen Detail am Anfang des Albums ist das Unterdrückte präsent. Als Max und seine Freunde auf einer Diebestour durch die Stadt an der Technischen Hochschule vorbeikommen, bemerkt der sich erinnernde Erzähler: "Nie habe ich auf einem Kubikmeter so viel Haß erlebt." Das dazugehörige Panel liefert die Illustration: Schüler mit verzerrten Mienen, einer von ihnen ermahnt arrogant einen jüngeren, andere prügeln und stechen wie besessen aufeinander ein. Es war wohl doch nicht alles heiter, damals in Béziers? Aber diese Szene bleibt folgenlos. Der Verlust des unsichtbaren Knisterns, der Mischung von Entzücken und Schrecken, die "Herzklopfen" auszeichnete, drückt sich auch in den Bildern aus. Die Farben sind blasser, die Striche weicher und spärlicher geworden. Alles ist flüchtiger, detailärmer gezeichnet, ohne dadurch den Reiz des Spontanen gewonnen zu haben. Im Gegenteil: Einige Panels wirken schludrig, fast unbeholfen, als sei Cabanes auf das Niveau eines begabten Nachwuchszeichners zurückgefallen. Nicht nur, was er erzählt, sondern auch, wie er es visuell umsetzt, hat im Vergleich zum Vorgängeralbum deutlich Intensität eingebüßt. Es ist schon eine Plage mit den Fortsetzungen. Ob im Film, in der Literatur oder im Comic - fast nie gelingt es ihnen, würdig an das gelungene und ursprünglich als Einzelsache geplante erste Werk anzuschließen. Mach's also bitte nicht noch einmal, Max! Verschone uns mit einem weiteren Album, das die Erlebnisse Deines Alter ego während der Studentenrevolte erzählt, und laß Dir lieber etwas Neues einfallen. Langweilige europäische Autorencomics gibt es nämlich genug. Hans Lucas
 
Versch. Autoren und Zeichner: Der Tag, an dem Superman starb. 168 Seiten, vierfarbig, Softcover, Comicbook-Format. Carlsen, 25 DM.
 
Hier ist nichts abzuwägen, nichts zu beschönigen: Dieses Album ist so schlecht, schlechter geht's kaum. Wer Vorurteile gegen die Comics im allge-meinen oder gegen die amerikanischen Comics im besonderen hegt - hier kann er sie bestätigen. Auf dem Cover von "Der Tag, am dem Superman starb" prangt in einem roten Kreis der unbescheidene Hinweis "168 dramatische Seiten". Das ist werbend gemeint, enthüllt sich bei der Lektüre aber als Drohung. "Kraang! Kraakk! Krakoom!" Von zahlreichen Soundwords umschwirrt, gräbt sich ein monströses Wesen mit mächtigen Schlägen aus seinem gepanzerten unterirdischen Gefängnis. Als es die Oberfläche erreicht hat, steht es inmitten idyllischer Natur. Ein Hirsch springt elegant zur Seite. Zutraulich landet ein niedliches, gelbes Vögelchen auf der ausgestreckten Hand des vermummten, von Stahltrossen noch halb gefesselten Monstrums - und wird sofort in der sich schließenden Faust zerquetscht. Der Alien Doomsday, fehlgeleitetes Produkt eines genetischen Experiments der amerikanischen Regierung, beginnt seinen Vernichtungsfeldzug. Er wird Lastwagen, Brücken, Hochhäuser und einige dutzend Menschen zertrümmern, angetrieben von nichts als dem reinen Willen zur Zerstörung. Sein prominentestes Opfer schließlich: Superman, niedergestreckt von derselben Faust, die anfangs dem gelben Vögelchen das Leben kostete. In dieser geradezu literarischen Symbolik, die Anfang und Ende des sieben Kapitel - ursprünglich sieben Hefte - umfassenden Albums miteinander verklammert, liegt der größte erzählerische Kunstgriff, zu dem die Texter sich aufraffen konnten. Das hat fast das Format barocker Welttrauer: Auch Superman, der mightiest of all heroes, ist, wenn ihm die Personifikation des Jüngsten Gerichts gegenübertritt, offenbar nicht mehr als ein gelbes Vögelchen. O vanitas vanitatum! Ansonsten geht es wesentlich schlichter zu. Eine Prügelei folgt der anderen in immer kürzerem Abstand. Zuerst fordert Doomsday die Justice League heraus, und als diese ihn nicht bändigen kann, eilt der Man of Steel zu Hilfe. Im dritten Kapitel kreuzt er mit seinem neuen Gegner zum ersten Mal die Fäuste. Im nächsten Kapitel werden wir ebenfalls Zeuge einer ausgedehnten Schlägerei zwischen den beiden. Genauso im fünften und sechsten Kapitel. Was im siebten Kapitel passiert, überlasse ich der Phantasie des Lesers. Von den komplexen Inhalten mancher Superheldencomics der letzten Jahre ist hier nichts zu spüren, alles verströmt den schlichten Charme der "Nimm das, Schurke!"-Stories früherer Zeiten. Auch die Dialoge: Phrasenhaftes Pathos wechselt mit unfreiwilliger Komik, und noch in den heftigsten Auseinandersetzungen ergehen sich die Helden in gedrechselten Erklärungen dessen, was sie gerade getan haben, eben tun oder sogleich tun werden. Da lobt man sich den guten Doomsday, dessen ausgefeilteste verbale Äußerung ein grollendes "Mhh-trr-plss" - soll heißen: Metropolis - ist, der sich ansonsten aber auf  "Hah-ha-ha", "Ungh" und "Urrggh" beschränkt. Wären sie nur alle so wortkarg wie er, das Album wäre deswegen nicht besser, aber etwas weniger lächerlich. Also nur Spott und Hohn über diesen dazu noch sehr mäßig gezeichneten Comic? Nein, denn lustig anzusehen ist es nicht, mit welch liebloser Routine, mit welch krassem Mißverhältnis von gigantischem Werbeaufwand und mangelndem künstlerischem Ehrgeiz der frühere Superheld Nummer eins in den Tod befördert wurde. Vielleicht ist diese Storyline eine verpaßte Gelegenheit. Neil Gaiman oder Alan Moore anvertraut, hätte sie zu einer Meditation über einen selten beleuchteten Aspekt des Superheldenmythos werden können. Zu einer Meditation darüber, daß der Tod für einen Superhelden immer nur die finale, nie aber eine unerwartete Katastrophe sein kann, weil er seit dem Unfall oder der Mutation, die ihm übermenschliche Fähigkeiten schenkten, mit der Katastrophe, dem Chaos zutiefst verbunden ist - und das, obwohl er doch immer Gesetz und Ordnung herstellen will. Nun gut, daraus ist nichts geworden. Und ob Superman zu solch revisionistischen Exerzitien taugen würde? Zugegeben: Es ist zweifelhaft. Warum aber der phänomenale Erfolg, den die Geschichte von seinem Tod in den USA erzielte? Und warum die lasche Teilnahmslosigkeit ihrer Macher? Nur die Gesetze des Kommerzes und der Werbung verantwortlich zu machen, der diese vertrauten und von der jene sich blenden ließen, hieße zu kurz zu greifen. Es hat wohl etwas damit zu tun, daß der Stählerne heute Rost angesetzt hat. Packende, glaubwürdige Geschichten lassen sich über ihn nicht mehr erzählen. Seine Ära ist abgelaufen. Gerade deshalb aber konnte im Herbst 1992 die Erzählung seines Todes einen doppelten sentimental-nostalgischen Effekt auslösen. Unter den über fünf Millionen Amerikanern, die das fatale Superman-Heft Nr. 75 kauften, an dessen Ende der Held wie der tote Christus in Lois Lanes Armen liegt, müssen viele nicht gewohnheitsmäßige Comicleser gewesen sein. Sie ließen sich einfangen von der Vergangenheit. Sie flohen vorübergehend sowohl in ihre von den bunten Bildern begleitete Kindheit als auch, wahrscheinlich unbewußt, in die Zeit, als ein positiv denkender, die Ideale der weißen Mittelklasse vertretender Superheld eine nationale Ikone sein konnte. Heute ist das anders. Heute klagen die ethnischen und sozialen Minoritäten ihre lange vorenthaltenen Rechte ein, und die populärsten Superhelden - Batman, Wolverine oder der Punisher - formulieren nicht mehr die Träume der Amerikaner, sondern ihre Alpträume. Es ist höchste Zeit, Abschied zu nehmen: Der Tag, an dem Superman starb, liegt in Wahrheit schon lange zurück.
Hans Lucas