(Plop Online Comics, hier klicken)  
Anmerkung: Das da unten sind alte Comic-Besprechungen die im Comic Fanzine 'Plop' erschienen. Die meisten sind von Andreas Alt ('aa') verfasst. Natürlich sind die Angaben nicht mehr gütig, Hefte vergriffen, Zeichner umgezogen, Währung geändert etc. Aber für den einen oder anderen vielleicht ganz interessant hier zu schmökern...

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 60 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75




Plop 43
Besprechungen



Der dicke Onkel / Extended Bloodlust. 16 Seiten, s/w, DIN A6 quer. Wird nach Gutdünken des Herausgebers an nette Menschen abgegeben. Levi’athan in Love c/o Jürgen Kopperschläger, Torfweg 17a, 32425 Minden.
 
Prima: Zwei Hefte in einem! Cartoons und Kurzcomics von und mit dem dicken bärtigen Onkel von der einen Seite, al-lerlei Gedanken zum Thema Horror von der anderen. Wer Levis Sachen noch nie mochte, wird auch hiermit nicht auf den Geschmack kommen, alle anderen mögen ihn beknien, noch ein Exemplar rauszurücken. hg
 
cOMIc # 16. 28 Seiten s/w, DIN A5. Im Tausch gegen Geld und gute Worte. Gerd Bonau, Waldweg 19, 24351 Damp.
 
Wieder eine runde Mischung aus Comics, Cartoons und Illus für alle, die die Naivität der frühen Fanzine-Tage zu schätzen wissen. Von stark ausbaufähig bis professionell ist von allem etwas dabei. In einem Kurzporträt wird Olaf „BAT“ Bathke (siehe auch „Paddelcomics“) vorgestellt. hg
 
Bat: Paddelcomics. 64 Seiten s/w. DIN A5.    3 DM. Olaf Bathke, Festungsstraße 4, 25832 Tönning.
 
„Paddelcomics“ ist ein Sammelband mit ein- bis fünfseitigen Comicgeschichten, die Olaf Bathke (der einen oder dem anderen dürften seine „Reisenden aus Plüsch“ aus cOMIc bekannt sein) für seinen Paddelverein in Tönning schuf. Nach Auskunft des Zeichners haben die meisten der auftretenden Figuren Vorbilder im richtigen Leben, und diese dürften auch den meisten Spaß an seinen Comics haben. Doch auch, wer die Tönninger Paddler nicht kennt, wird mit diesem Heft auf seine Kosten kommen. hg
Weil nämlich (an dieser Stelle mischt sich wieder mal der Herausgeber ein) Olaf Bathke etwas ganz Schwieriges gelungen ist, und zwar einfache Geschichten zu erzählen. Zugegeben, den Episoden fehlt es manchmal an dramatischer Spannung. Deshalb wissen sie möglicherweise nur die zu schätzen, die sie miterlebt haben. Aber die Geschichten haben eine ganz merkwürdig beschwingte und zugleich melancholische Atmosphäre, wie ich sie nur in ganz wenigen Comics gefunden habe. Wenn die Comics nicht so insiderhaft wären, daß man sich bisweilen zur Aufmerksamkeit zwingen muß, und nicht manches von den Figuren und ihren Beziehungen zueinander verschleiert bliebe, wären die „Paddelcomics“ ein Meisterwerk. Andreas Alt
 
Der Herold # 22 (2/94). 32 Seiten s/w, DIN A5. Gratis (Versandabo: 5 DM pro Jahr). Michael Schneider, Freuenbach 30, 97993 Creglingen.
 
„Der Herold“ ist kein Comic-Fanzine, sondern widmet sich ganz allgemein „Politik, Wirtschaft und Kultur“. Die mir vorliegende Ausgabe setzt jedoch ihre Schwerpunkte in den Bereichen Literatur und Comic/Cartoon. Neben Comics von Joachim Ullmer („Dummy“-Strips) und den Gebrüdern Schwandt (eine Geschichte über eine Seance, deren Sinn mir verborgen blieb) findet man fantasy-orientierte Illustrationen vonThomas Knip, thematisch breit gefächerte Comic- und Buchrezensionen, zwei Kurzgeschichten sowie Artikiel über die Frankfurter Buchmesse, den Comic „Karl der Spätlesereiter“ und eine professionelle Briefeschreiberin. hg
 
Zeitlupe # 24. 24 Seiten s/w mit farbigem Umschlag, DIN A5. 2 DM plus Porto (mit S/w-Co-ver 1 DM plus Porto). Igolin Verlag c/o Tim Böhm, Ludwigshafener Straße 21d, 76187 Karlsruhe.
 
Tim „Igel“ Böhm legt den Schwerpunkt seines Fanzines immer deutlicher auf Comics. In dieser Ausgabe finden sich Beiträge von Thomas Harske, Holler, Haggi und dem Herausgeber. Darüber hinaus ein Artikel über die Produktion von Igels neuestem Zeichentrickfilm, ein Rouladenrezept von Omi, ein paar biblische Geschichten in ganz neuen Versionen, und das erste Haggi-Porträt, das bei seinem Erscheinen noch nicht veraltet war. hg
 
si-kartuun Party Special. 72 Seiten s/w, DIN A5. 4 DM. Michael Groenewald, Zum Bernstein 22, 57076 Siegen.
 
Lang erwartet, ist es endlich da: das si-kartuun-Sonderheft zur großen Abschiedsparty am 22. und 23. Januar 1994. Mit vielen Skizzen und Cartoons zwischen saukomisch und albern und - dem ersten zusammenhängenden Abenteuer von Brett, dem tapferen Raumpiloten. Damit ist endlich die empfindliche Lücke zwischen dem PLOP-Party-Special und der ab Mai 1995 erscheinenden regelmäßigen Brett-Serie geschlossen. Zwangsläufig enthält so ein Heft einige Insidergags, die Nicht-Partygästen verschlossen bleiben, doch für diese bleibt genug übrig, um den Kaufpreis zu lohnen. hg
 
Kromix # 7. 80 Seiten s/w mit Farbcover, DIN A 4. 9,80 DM. Totenkopf-Verlag Stefan Riedl, Warthestraße 16, 81927 München.
 
Der Inhalt eines Comicmagazins ist naturgemäß geprägt vom persönlichen Geschmack seines Chefredakteurs oder seines Redakteurs. Die heißen in diesem Fall Ralf Palandt und Stefan Riedl und haben eine ausgeprägte Vorliebe für Experimentelles und Abstruses. Das ist sicher nicht jedermanns Geschmack, und auch die in den zahlreichen Rezensionen wiedergegebene Meinung wird nicht jeder teilen können. Damit auch Leute, die’s lieber lustig haben, in Kromix etwas finden, gibt’s zwischendurch ein paar Stories von Leuten wie Walter Moers, Peter Puck und Harm Bengen. Als „Sonderform“ des Comics wird diesmal der Literaturcomic, also Adaptionen literarischer Vorlagen, vorgestellt. Was dann als Beispiel folgt, sind allerdings aneinandergereihte Einzelillustrationen zu Kurzgeschichten von Charles Bukowski selig. Auch wenn das Ganze jetzt vielleicht eher negativ geklungen hat, kann ich zum Kauf von Kromix nur raten, denn seinen Preis ist das als Album aufgemachte Magazin allemal eher wert als die hundertste Episode irgendeiner noch so vierfarbigen Kommerzserie. hg
 
Menschenblut # 16/17 (Winter-Spaßdick-Doppelnummer). 72 Seiten s/w mit Farbcover, Comicbook-Format. 14,80 DM. Eisenfresser Comix, Postfach 1141, 36094 Petersberg.
 
Was soll man noch sagen über dieses Magazin, das sich nun schon seit 16 Ausgaben mit gleichbleibendem Erfolg der Aufgabe widmet, Horror in seinen verschiedenen Erscheinungsformen in absolut professioneller Qualität darzubieten? Vielleicht, daß das Team erneut Zuwachs zu verzeichnen hat: Roger Rebmann, der mit „Gunbitch“ seine ganz eigenen Vorstellungen von einer zweckdienlichen Uniform für weibliche Polizeikräfte präsentiert. Oder daß die Gebrüder Murschetz mit ihrer Cover-Illu einen aussichtsreichen Kandidaten für die Meisterschaft im Tabubrechen vorlegen. Wenn die Jungs solche Phantasien wirklich nötig haben, sollten sie sich schleunigst in therapeutische Obhut begeben.
Kostenlos für „Menschenblut“-Abonnenten:
Dünnschiß-Funnies # 425. 24 Seiten s/w, DIN A5.
Was passiert, wenn eine Handvoll Comiczeichner mit Hang zum Makabren und Geschmacklosen sich zusammensetzen und drauflos kritzeln? Das Ergebnis dürfte so ziemlich genauso aussehen wie die neueste Ausgabe von Dünnschiß-Funnies, mit der die Menschenblut-Crew ihren Abonnenten die Wartezeit auf die neueste Nummer verkürzte. hg
 
Kim Schmidt: Schronz - Comics wie Du und ich. 64 Seiten s/w mit Farbcover, Comicbook-Format. 12 DM. Flying Kiwi Verlag Jens Junge, Schloß Glücksburg, 24690 Glücksburg.
 
Seit rund zehn Jahren gehört Kim Schmidt, Deutschlands nördlichster Comiczeichner, zu den Fixsternen des Comic-Fandoms. Und was da so an Comics, Cartoons und Illustrationen in den verschiedensten Fanzines (und sonstigen Publikationen) zusammengekommen ist, kann man sich hier in einem ausgiebigen Querschnitt noch einmal geballt zu Gemüte führen. Doch auch wer alle Fanzines aus diesem Zeitraum im Regal stehen hat, wird in „Schronz“ noch Neues finden - zum Beispiel auf elf Seiten Reiseskizzen von Kims Amerika-Trip 1992. Deutlich wird in dieser komprimierten Form auch die Vielseitigkeit von Kims Zeichenstil, der nicht auf eine einmal gefundene Formel festgelegt ist, sondern immer wieder erfolgreich Neues ausprobiert. Was Kims Humor betrifft, wird von ultraflach bis hintergründig-aberwitzig jeder Geschmack bedient. Und wem das immer noch nicht genügt, dem sei verraten, daß „Schronz“ der erste Comic mit Airbag ist - es ist also nicht nur für viel Vergnügen, sondern auch für die äußerste Sicherheit des Lesers gesorgt. Was will man mehr? hg
 
Haimo Kinzler: Wüttner 2 - Wer ist dazu geboren, diese herrlichen Bildergeschichten zu zeichnen? 108 Seiten s/w mit Farbcover, DIN A5. 14,80 DM. Zwerchfell Verlag Christian Heesch, Tonndorfer Strand 57, 22045 Hamburg.
 
„Namhafter Comickonzern sucht ambitionierten und flexiblen Bügelverschlußflaschenzeichner zwecks Entlastung unseres Hausautors.“ Mit dieser Anzeige beginnt für unseren Antihelden Wüttner ein wahrer Alptraum. Denn Frau Kleinschrott, seine Vermieterin, beschließt, aus ihm diesen erfolgreichen jungen Zeichner zu machen. Und welche abstrusen Drillmethoden und fiesen Psychoterrortricks sie sich zu diesem Zweck einfallen läßt, das erschüttert für den größten Teil des Albums das Zwerchfell jedes Lesers mit Sinn für absurden Humor. Mit dieser Geschichte wurden Wüttner und sein Schöpfer Haimo Kienzler in dem Magazin „Caisers sehr feine Comics“ erstmals einem breiten Publikum vorgestellt. Als Bonustrack gibt es noch den Reißer „Nackt und wehrlos unter außerirdischen Kannibalen-Sexmonstern“ sowie eine ausführliche Erklärung (ebenfalls in Comicform), warum Walter Jens auch diesmal keine Einleitung geschrieben hat. hg
 
Dean Williams / Günther von Wegen: Crack Whore # 1. 24 Seiten, Farbcover, Comicbookformat. 2,75 $. EROS Comix, Seattle WA, USA (beim lokalen Direktimporteur nachfragen).
 
Wie man an der Verlagsangabe erkennt, ist „Crack Whore“ kein Fanzine und schon gar kein deutsches. Wer aber wissen will, womit man als deutscher Comiczeichner sein Geld verdienen kann, sollte mal in das Heft reinschauen: Günther von Wegen ist nämlich unter anderem Namen fest in der deutschen Fanszene etabliert. Die Story von Crack Whore (tatsächlich von einem Amerikaner) ist eine krude Porno-Posse, deren Frauenfeindlichkeit nur dadurch gemildert wird, daß die Männer auch nicht besser wegkommen. Zeichnerisch schwankt die Qualität noch ziemlich, selbst bei der für einen Pornocomic doch so wichtigen Anatomie. Wer nach der Lektüre immer noch rätselt, um welchen Zeichner es sich handelt, der sei auf dessen kleinen Gastauftritt auf Seite 16 hingewiesen. hg
 
Au weia. Das piccolotische Comic-Magazin   
# 7, sowie 8 und 9. Je 32 Seiten s/w mit Farbcover, Piccoloformat. Je 4 DM. Comic Archiv Jürgen Metzger, Ludwig-Feuerbach-Straße 63, 90489 Nürnberg.
 
Mit Au weia # 6 war bekanntlich erstmal Schluß. Haggi hatte dabei einkalkuliert, daß noch die Ausgaben 7 bis 9 in weitaus bescheidenerem Format hinterhertrudeln würden. Mehr gibt’s vorerst nicht (außer in PLOP natürlich). Haggi hört mit den Fanzines auf, wenn es am schönsten ist; er verabschiedet sich mit drei kleinen Meisterwerken. Wer jemals ein Piccolo gelesen hat, wird meine Verblüffung nachvollziehen können, was in den drei Heftchen so alles drinsteckt. Werden Piccolos meist dazu benutzt, endlose Fortsetzungsgeschichten zu erzählen, die sich in einem einzelnen Band kaum weiterentwickeln, oder abgeschlossene Comics zu bringen, die immer irgendwie kurzatmiger wirken als in einem Heft oder Album, so füllt Haggi seine mit einem Sack voll Späßen an. Rasante Gedichte, Kuriositäten wie etwa ein weinendes Käsebrötchen oder Reibereien zwischen Schaf und Elefant, neue Folgen des Ferdi-Quiz und auch ein paar Kalauer sind darunter. Vielleicht die ersten Piccolos, die nicht nur für Piccolo-Fans uneingeschränkt zu empfehlen sind. Andreas Alt
 
Francois Rivière / Jean-Claude Floc’h: Die rätselhaften Fälle des Francis Albany. Band 1: Der Fall Harding; Band 2: Begegnung in Seven Oaks; Band 3: Auf der Suche nach Sir Malcolm. Je 48 Seiten, farbig, Softcover, Albumformat. Carlsen, 16,90 DM.
 
Ein Blick auf die Geschichte der Nouvelle ligne claire - das ist kein Blick zurück im Zorn. Unübersehbar ist aber, daß die Zeit an den einst hoch gelobten Werken dieser Schule nicht spurlos vorübergegangen ist. Blättert man heute durch die Alben Yves Chalands oder Ted Benoits, Serge Clercs oder Joost Swartes, so ist der Eindruck häufig ernüchternd. Die Nouvelle ligne claire war, obwohl ihre Wurzeln in den 70ern liegen, ein Kind der 80er, und ihr Glanz scheint zu verblassen, je mehr wir uns von diesem Jahrzehnt entfernen. Mode und Nostalgie - aus diesen schnell verderblichen Ingredienzien war der Cocktail gemixt. Modisch war die Nouvelle ligne claire insofern, als sie den Stil Hergés, seiner Schüler und Konkurrenten vor allem als schicke Oberfläche begriff. Was vorgestern in und gestern, in der psychedelischen Zeit um 1968, out gewesen war, wurde nun plötzlich wieder in: die zeichnerische Beschränkung auf das Wesentliche, die Liebe zur scharf gezogenen Kontur. Nostalgisch war die Nouvelle ligne claire insofern, als sie trotz all ihrer Verdrehungen und Ironisierungen der großen Vorbilder - erinnert sei nur an Chalands Freddy Lombard, diese Karikatur Tintins - doch immer ostentativ dem Goldenen Zeitalter der frankobelgischen Comics nachtrauerte. Freilich ohne dessen Meisterwerke zu erreichen. Eine Schwachstelle vieler Alben der Nouvelle ligne claire ist das Szenario. So hübsch die Bilder, so banal und albern oft die Geschichten. Die prominenten Vertreter der Schule waren typische postmoderne Epigonen: Sie hatten nichts zu sagen, taten dies aber auf formal bestechende Weise. Vor die Wahl zwischen Sein und Design gestellt, wählten sie allzu oft das Design.
Um so erfreulicher ist es, daß eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel nun komplett in deutscher Übersetzung vorliegt. Die Francis-Albany-Trilogie Floc’hs und Rivières ist nicht nur eine der Sternstunden der Nouvelle ligne claire, sondern des intelligenten französischen Erwachsenencomics überhaupt. In „Der Fall Harding“ versuchen der Titelheld und seine Freundin, die erfolgreiche Kriminalautorin Olivia Sturgess, sich als Amateurdetektive. Sir Christopher Harding, der Verleger Olivias, wird in einem Londoner Taxi ermordert aufgefunden. War die verschleierte Dame in Schwarz, mit der er das Taxi bestiegen hat und die bald darauf verschwunden ist, die Täterin? Im Verlauf ihrer Ermittlungen geraten Francis und Olivia bald auf den Landsitz der Hardings. Hier überstürzen sich die Ereignisse: Ein Dorftrottel macht geheimnisvolle Andeutungen; die Dame in Schwarz spukt als Todesengel durch das alte Gemäuer; und selbstverständlich ist die Familie des Verstorbenen nicht so nobel und heil, wie es auf den ersten Blick scheint. „Der Fall Harding“ ist das schwächste der Francis-Albany-Alben. Nicht, daß es schlecht gezeichnet oder geschrieben wäre - im Gegenteil. Es ist sogar sehr unterhaltsam und spannend. Aber im Gegensatz zu den beiden anderen Alben ist es nur unterhaltsam und spannend. Interessant ist es nur in stofflicher Hinsicht, als der zweifellos gelungene Versuch, einen Comic im Stil der Romane Agatha Christies zu schreiben. „Ein faszinierender Romananfang“ urteilt eine der Queen of Crime verblüffend ähnlich sehende Freundin Olivias, als sie von der Ermordung Sir Christophers hört. Und: „Ist das in Ihren Romanen nicht auch immer so, meine Teure?“, fragt Francis wenig später Olivia, als diese feststellt, der Mörder müsse sich auf dem Landsitz aufhalten. In diesem Ton eines selbstironischen Klassizismus ist der ganze „Fall Harding“ gehalten. Das Album ist eine Stilübung - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Von anderem Format sind die „Begegnung in Seven Oaks“ und „Auf der Suche nach Sir Malcolm“. In ersterem Album tritt Francis Albany nur am Rande auf. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Journalist und Schriftsteller George Croft, der in einem Antiquariat eine bestürzende Entdeckung macht. Die Sammlung von Schauergeschichten, die er verfaßt hat, ist nämlich vor über 20 Jahren und Wort für Wort schon einmal von einem gewissen Basil Sedbuk geschrieben worden. Und nicht nur das: Als Croft nach Sedbuk, einem seinerzeit berühmten Meister des Grand Guignol, zu recherchieren beginnt, treten alle unheimlichen und makabren Geschehnisse des Buches nach und nach ein. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion löst sich zunehmend auf und ist am ebenso virtuosen wie rätselhaften Ende des Albums völlig verschwunden. „Begegnung in Seven Oaks“ zählt zu den raren Comics, die man immer wieder lesen kann, weil man sie nie ausliest. Francois Riviere ist das Kunststück gelungen, ein Album zu schreiben, das zwar in Hergéscher Manier rigoros konstruiert ist, das aber - und hier übertrifft der Schüler sogar seinen Meister - die Imaginationskraft des Lesers nicht einengt, sondern freisetzt. Die Spuren, die der Autor ihm legt, kann und muß jeder selbst deuten. Und nicht nur eine Lösung ist möglich. Am wahrscheinlichsten ist wohl diese: Das Album ist nur eine Fiktion innerhalb einer Fiktion; es ist ein Wunschtraum, eine Wahnvorstellung des sterbenden Basil Sedbuk. So wird die „Begegnung in Seven Oaks“ plötzlich zu einer außerordentlich gescheiten Reflexion über die Nachtseiten der dichterischen Phantasie. Denn der Traum, erfundene Gestalten ins Leben treten zu lassen und umgekehrt mit wirklichen Menschen so umspringen zu können wie mit erfundenen Gestalten, ist wohl keinem Autor  fremd. „Auf der Suche nach Sir Malcolm“ greift das in „Begegnung in Seven Oaks“ behandelte Thema auf, variiert es aber zugleich. Nicht zufällig erinnert der Titel des Albums an Marcel Prousts Romanzyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Wie Prousts Ich-Erzähler versucht Francis Albany, die Vergangenheit zum Leben zu erwecken, sie erinnernd zur Gegenwart zu machen. Und ebenso wie in der „verlorenen Zeit“ gelingt ihm dies nicht mit Hilfe des exakt forschenden Verstands, sondern nur mit Hilfe der frei schweifenden Assoziation. Die Rolle des Gebäcks, das bei Proust zum Auslöser der mémoire involontaire wird, spielt hier ein altes Fotoalbum. Dessen Betrachtung versetzt Francis zurück in das Jahr 1912, in dem sein Vater gerade zum britischen Botschafter in Washington ernannt worden ist. Zusammen mit seinem Sohn, seiner Frau und der kleinen Olivia macht sich Sir Malcolm auf die Reise in die USA - an Bord der „Titanic“. Als der Luxusliner untergeht, bleibt der Vater zurück, seine Familie wird gerettet. Im träumerischen und träumenden Nachvollzug der damaligen Ereignisse gelingt es Francis, die Spionageaffäre, in die Sir Malcolm auf der „Titanic“ verwickelt wurde, aufzuklären und ihn vom Vorwurf des Hochverrats zu befreien. Aber auch hier erweist sich zumindest ein Teil des Geschehens als Fiktion in der Fiktion. Francis war nämlich, wie schließlich deutlich wird, gar nicht wirklich auf der „Titanic“. Genauer gesagt: Er war noch im Bauch seiner Mutter, die ihn erst kurz nach dem Schiffbruch gebar. Anders als bei Proust zielt die Erinnerungsarbeit also nicht auf Ereignisse, die der sich Erinnernde tatsächlich erlebt hat, sondern die er erlebt haben könnte. Die Erinnerung wird zur Spekulation, zur Dichtung. Der Stellenwert, der ihr eingeräumt wird, ist daher sehr ambivalent. Einerseits läßt sich das Album in der Nachfolge Prousts als Hommage an die visionäre Kraft der assoziativen Erinnerung lesen. Andererseits klingt in ihm eine grundsätzliche Skepsis gegen den Wahrheitsanspruch jeder Erinnerung an. Wer sich erinnert, der erfindet und verfälscht - auch so läßt sich seine Aussage deuten. Die Suche nach dem unerreichbaren Vater - ist sie nicht der geheime und gemeinsame Nenner aller Arbeiten der Nouvelle ligne claire? Auffällig ist allerdings, daß der geistige Vater Floc’hs und Rivières weniger Hergé als Edgar P. Jacobs ist. Nicht nur, daß in „Begegnung in Seven Oaks“ mehrfach „Das gelbe M“ zitiert wird. Die Dramatik der Geschehnisse bei gleichzeitigem Verzicht auf die für Hergé typische humoristische Brechung, die von detailbesessener Anglophilie geprägte Evokation des London der Zeit um 1950 - all dies verweist auf eine tiefe Affinität zum Schöpfer der Blake-und-Mortimer-Serie. Aber darin, daß die Francis-Albany-Trilogie sich in dieser Affinität nicht erschöpft, daß sie wenigstens zu zwei Dritteln mehr ist als modisches Design und ironisch gebrochene Nostalgie - darin liegt ihre Bedeutung. In ihrem Bemühen, den Comic aus den Fesseln der Genres zu befreien, ohne ihn ganz der Reize des Genres zu berauben, gleichen diese in den 70ern und frühen 80ern entstandenen Alben den besten aktuellen Arbeiten Alan Moores, Neil Gaimans und Frank Millers. Hans Lucas
 
Katsuhiro Otomo: Der Feuerball. 110 Seiten, s/w. Begraben im Sand. 120 Seiten, s/w und farbig, jeweils Softcover, Comicbookformat. 29,90 DM. Carlsen.
 
Zeichentrickfilme, Popmusik, Comics, Mode, Trash Movies: Japan entwickelt sich zum neuen Eldorado der populären Kultur. Auch hierzulande ist dies nun, mit der üblichen Verzögerung gegenüber den USA und Frankreich, bemerkt worden. So verwundert es nicht, daß der Carlsen Verlag nach Abschluß seiner „Akira“-Edition zwei Bände mit zwischen 1977 und 1981 entstandenen Kurzgeschichten Katsuhiro Otomos herausbringt. Ein Unternehmen, dam man zunächst skeptisch gegenüberstehen mag. Ist das alte Spiel doch bekannt: Kaum hat ein bislang unbekannter Autor - sei es in der Literatur, sei es in den Comics - überraschend Erfolg, so beginnt die hektische Suche nach seinen älteren Arbeiten, die im Eilverfahren ebenfalls auf den Markt geworfen werden. Wiederholt zum Schaden der Leser und des Autors. Denn manche Jugendsünden und Nebenwerke verdienten es eher, gnädig vergessen als gierig ausgegraben zu werden. Im vorliegenden Fall trifft dies allerdings nur zum Teil zu. Zwar sind die frühen Kurzgeschichten Otomos stilistisch und qualitativ sehr uneinheitlich. Insgesamt erweitern sie aber in interessanter Weise den Blick auf den Starzeichner. Und siehe da: Einige sehr gelungene Arbeiten sind auch dabei. „Der Feuerball“ ist mit Abstand der schwächere Band. In der Titelgeschichte verhindern zwei einst feindliche Brüder die Machtübernahme eines gigantischen Computers, der sich mit Hilfe willfähriger Technokraten zum Big Brother aufzuschwingen versucht. Paranormale Phänomene, Rückkehr aus dem Reich der Toten, apokalyptisches Finale - „Der Feuerball“ ist eine Vorstufe zu „Akira“. Auf den banalen zweiteiligen Funny „Chronik des Planeten Tako“ hätte man getrost verzichten können. Am interessantesten in diesem Band ist „Der Marsmensch“. Ein junger Mann, der zum Fischen aufs Meer gefahren ist, schwimmt nach dem Kentern seines Boots zurück ans Land. Aber die Industrieabwässer, die er durchquert, überziehen ihn mit giftigem, im Trockenen betonhart werdendem Schlamm. Nur um den Preis der körperlichen Zerstückelung ist diese Verwandlung rückgängig zu machen. In ihrem tiefschwarzen Humor, in ihrer ungewöhnlichen Mischung von Schrecken und Komik erinnert diese Geschichte an den frühen Berni Wrightson und an die Horrorstories aus dem Hause EC. Der Fischer, der in seiner Schlammhülle steckt wie in einem Panzer - damit ist ein Thema angeschlagen, das Otomo offenkundig fasziniert. Seine Ambivalenz zeigt sich in einer Szene des „Feuerballs“, in der einer der beiden Brüder seinen Tod als beglückende Wiederherstellung des Embryonalstadiums erlebt. Zusammengerollt schwebt er selig in einer großen Blase aus Licht: „Es ist so warm,... so vertraut.“ Auch in „Begraben im Sand“ erzählt Otomo mehrfach von nestartiger Geborgenheit und bedrohlicher Gefangenschaft. In der Titelgeschichte häufen sich die Bilder des Eingeschlossenseins und Verschlungenwerdens. Hier versinkt ein Astronaut langsam in lebendigem Treibsand, der in seinen Schutzanzug eindringt und ihn auffrißt. In „Gedeih und Verderben“ versucht ein einsamer Mann, auf einem Wüstenplaneten eine Pflanze, deren Schutzkuppel zerbrochen ist, vor dem Verdorren zu retten. Aber bevor er ihr in seinem Helm Wasser bringen kann, zerquetscht ihn ein spinnenartiges Ungeheuer, und er tränkt die Pflanze mit seinem Blut. In „Die Mission“ gelingt es einem Soldaten nur dadurch, sich vor einem nahezu unzerstörbaren Roboter zu retten, daß er seinen Kampfanzug auszieht und der mörderischen Maschine als Zivilist gegenübertritt. Die romantisch-melancholische Geschichte „Erinnerungen“ erzählt dagegen von einer Frau, die von der Erde flieht, um sich in der Tiefe des Alls eine Raumstation in Form einer riesigen Rosenblüte zu bauen. Dieses Denkmal ihrer großen und enttäuschten Liebe wird schließlich zu ihrem Grab, dem Ort letzter Geborgenheit, den keine diesseitige Verletzung mehr erreicht. So zeigt sich Otomo in den interessanteren seiner Kurzgeschichten seinem Ruf überlegen. Er versteht es nicht nur, allerlei technisches Gerät zu zeichnen und virtuos Actionsequenzen zu inszenieren. Er ist nicht nur der Mann der Motorräder, Explosionen und Schießereien. Es gibt bei ihm einen Hintergrund der Melancholie, des Pessimismus - alle seine Geschichten sind ohne Happy End - und eine überraschende, intime Vertrautheit mit den tiefsten unserer Ängste und Sehnsüchte. Und auch Otomos Heimat kommt nicht ungeschoren davon: In „Der Hauch alter Zeiten“ und „Vögel“ lebt eine ganze Gesellschaft in der hygienischen Verpackung eines totalitären Sozialstaats, der nicht nur Krieg, Krankheit und klimatische Unbill, sondern auch jegliche individuelle Freiheit ausgerottet hat. Hierin ein kritisches Bild des modernen Japan zu erkennen, fällt nicht schwer. Otomos utopische Phantasien, seine Erinnerungen an die Zukunft sind in ihren besten Momenten Erinnerungen an die Gegenwart. Die zeichnerischen Mängel der zwei Bände sind die Mängel aller japanischen Comics. Die Figuren sind in ihrem Aussehen auf einige Typen reduziert, die wie ein Ei dem anderen gleichen; die Hintergründe sind spärlich, von Moebius abgekupfert oder überhaupt nicht vorhanden. Japanische Comics werden schnell hergestellt und sind zum schnellen Konsum bestimmt. Otomo macht da keine Ausnahme. Aber manchmal lohnt es sich doch, ihn eher zu Hause als in der U-Bahn zu lesen. Hans Lucas