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Anmerkung: Das da unten sind alte Comic-Besprechungen die im Comic Fanzine 'Plop' erschienen. Die meisten sind von Andreas Alt ('aa') verfasst. Natürlich sind die Angaben nicht mehr gütig, Hefte vergriffen, Zeichner umgezogen, Währung geändert etc. Aber für den einen oder anderen vielleicht ganz interessant hier zu schmökern...

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Plop 73
Besprechungen



Jens Natter: Die Deibelz. 66 Seiten, s/w mit rotem Cover, Albumformat, 11,90 Euro. Erlenbach Verlag, Dortmund
 
Aus der Geschichte einer Amateur-Rockband hat Jens Natter - abgesehen von seiner Pädagogik-Diplomarbeit - sein erstes größeres Comicprojekt gemacht. 48 Netto-Comicseiten geben ihm genug Raum, diese Band ausgiebig zu porträtieren. Obwohl jede Seite für sich eine Einheit bildet, ergeben sie zusammen eine durchgängige Bandstory vom Zusammenfinden der vier „Deibelz“-Mitglieder bis zu ihrer Trennung. Es dürfte sich um eine imaginäre Band handeln, wenn ich auch annehme, daß Jens etliche eigene Musikerfahrungen hat einfließen lassen. Insgesamt werden aber eifrig die Klischees bedient: Der Bandleader sieht ein bißchen aus wie Lou Reed, der Leadgitarrist ist aufbrausend, der Bassist schweigsam und nicht so helle. Die ersten größeren Konflike sind vorprogrammiert, als eine Frau hinter dem Schlagzeug Platz nimmt. Dann kommen Probleme mit den regelmäßigen Probeterminen, die Jagd auf die ersten Gigs und der Neid auf andere, erfolgreichere Bands. Jens beleuchtet auch den Verkauf der selbstgebrannten CDs nach den Konzerten, die Suche nach einem geeigneten Tourbus, vermasselte Auftritte und die Bemühungen, sich verschiedenen Subszenen anzupassen. Jens hat sich mit der Charakterisierung der vier Bandmitglieder durchaus Mühe gegeben, aber letztlich wirken sie wie Repräsentanten der idealtypischen deutschen Nachwuchs-Rockband. Vielleicht bedient er deshalb so eifrig die Klischees, weil seine Onepager lustig rüberkommen sollen. Aber die Klischees machen die meisten Gags vorhersehbar oder nehmen ihnen die satirische Spitze. Aber jedenfalls hat Jens einen in sich stimmigen Comickosmos erschaffen, aus dem sich sicher noch mehr machen ließe. Jetzt könnte er seine „Deibelz“ ja mal auf den Spuren von „Wir sind Helden“ wandeln lassen und berichten, wie eine Band mit Ruhm und Geld klarkommt. Oder - vielleicht noch reizvoller - er schildert den Weg einer Band, die auch nach Jahren nicht den Durchbruch schafft. Da wäre dann jedenfalls genug Raum auch für überraschendere Erkenntnisse.
 
cOMIc # 59 und 60. 20 Seiten, s/w, DIN A 5, im Tausch gegen Beiträge oder andere Fanzines. Gerd Bonau, Gabelsberger Straße 14, 24148 Kiel. gerdbonau@yahoo.de
 
Die individuell gestalteten Covers - das war immer eine Spezialität von Jo Guhdes „Sprühender Phantasie“. Gerd Bonau geht nun mit cOMIc # 59 ein bißchen in diese Richtung: Auf dem meerblauen Titel ist ein „Barracuda“-Taucher zu sehen, und ein gelber Klebepunkt steht für die Taschenlampe, mit der er in die Dunkelheit leuchtet. Schöner Effekt. Ansonsten sind Bernd Teuber und Frunk mit mehrseitigen Comics, Max Jähling, König Lü. Q. und Nils Fuhrmann-Wiese mit Onepagern sowie Oliver Ferreira, Aaron Jordan und Jan Proese mit Kurzcomics und Illustrationen vertreten. Ach ja, und zwei Sätze erübrigt Gerd Bonau für zwei Rezensionen Schweizer Magazine.
COMIc # 60 ist mal wieder eine ziemlich minimalistische Ausgabe geworden. Bernd Teuber huldigt mit zwei „Hübner“-Comics dem klassischen Zeichentrickfilm à la Tom und Jerry. Mit kleineren und kleinen Beiträgen sind Oliver Gfeller, Marco Lensch, Manfred Wladik und Aaron Jordan dabei. Illustrationen kommen von Thomas Glatz, Roman Castenholz und dem recht begabten Vincent Burmeister. Trotz des spärlichen Inhalts ist es eine wichtige Ausgabe, denn in der Mitte weist Gerd Bonau auf das interessante neue Comic-Studio-Projekt „Alligatorfarm“ von Karl Nagel („Fantastrips“) und Wittek hin, ein ernsthafter Versuch der Professionalisierung. Wer mitmachen möchte, sollte sich dieses Heft besorgen oder unter www.alligatorfarm.de nachschauen.
 
 
Basel brennt # 2. 40 Seiten, s/w mit orangem Umschlag, DIN A 5. Lukas Mannhart, Dornacherstraße 151, CH - 4053 Basel. koeniglueq@gmx.net
 
Druck und Heftung sind sauberer und sorgfältiger als bei der Nummer 1, was den einen oder anderen Basler eher mal zum Zugreifen verleiten könnte. Inhaltlich sind Lukas Mannhart und sein Co-Herausgeber Jens Natter aus dem nahen St. Louis in Frankreich ihrem Konzept treu geblieben: Fast alle Beiträge haben etwas mit Basel zu tun oder stammen von (auch ehemaligen) Baslern. Der unvoreingenommene Leser bekommt den Eindruck einer bunten, ziemlich abwechslungsreichen und meist unterhaltsamen Mischung. Etliche der Mitwirkenden haben auch schon in PLOP ihre Visitenkarte hinterlassen: neben den Herausgebern sind das Oli Gfeller, Aaron Jordan und Katrin Baumgärtner (die sich hier leider schon länger nicht mehr hat blicken lassen und deren Comic über eine Basler Kindsmöderin für mich die anspruchsvollste Arbeit im Heft ist). Aufgefallen sind mir daneben Lukas Liederer mit „Strapazin“-Potential und Lorenz Ritzmann, der wohl haarscharf an einem Disney-Plagiat vorbeischrammt.
 
Netzhaut # 101. 16 Seiten, s/w mit Farbcover, DIN A 5, 1 Euro. Frank Günther, Bremen
 
Dies ist eines jener Hefte, die Frunk schwerpunktmäßig an einem Bremer Kiosk vertickt, den ein Freund von ihm schmeißt. Bevor er PLOP entdeckte, hat Frunk diese Hefte fast ausschließlich mit eigenem Material bestritten. Jetzt hat er auch Comics und Zeichnungen von Bernd Teuber, Ulrich Magin, Radek Matuszak und Sascha Weitzel zur Verfügung. Nach den Erfordernissen des Kiosks, wo das Heft mit Publikationen wie „Focus“, „Bun-te“ oder „Matador“ um Aufmerksamkeit konkurriert, hat er ein farbkopiertes Cover vorne draufgepappt. Für den durchschnittlichen Kioskkunden - sollte sein Blick auf „Netzhaut“ fallen und ihn irgendwas zum Kauf verleiten - dürfte der Inhalt trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig sein, denn da wird doch ein ziemlich skurriler Humor gepflegt, der aber natürlich gut zu Frunks eigenem Stil paßt. Wäre mal interessant zu erfahren, wie viele Hefte er in Bremen unters Volk bringt.
 
Geschichten aus den Neunzigern # 3. An solchen Tagen. 44 Seiten, s/w mit zweifarbigem Umschlag, Comicbookformat, 5 Euro. Verlag Schwarzer Turm
 
In der ganzen Straße, in ganz Hamburg, auf der ganzen Welt lebt mit Ausnahme des Ich-Erzählers kein Mensch mehr. Kein Autoverkehr, kein Fernsehprogramm, kein Telefonhörer wird mehr abgenommen - so beginnt die Hauptgeschichte in diesem Band. Kontrastiert wird diese Vision der Menschenleere mit der Geschichte einiger Studenten, die ins Visier sensationsgeiler Medien geraten, weil ein Freund von ihnen bei einer Mittelmeerkreuzfahrt vom Schiff verschwunden ist. Um die besser zu verstehen, müßte man nach Aussage des Autors und Zeichners FabBand 1 seiner Reihe „Ok Griechenland“ kennen, was für mich leider nicht gilt. So teilt sich mir zumindest mit, daß Fab ökonomisch erzählt und in einem wirkungsvollen Schwarzweiß-Stil nach Fotovorlagen zeichnet. Ein wenig kann man bei der Grafik auch an Hugo Pratt denken, was „Schwarzer Turm“-Herausgeber Mille Möller bewogen haben könnte, diesen Comic in sein Programm aufzunehmen. Es gibt noch eine siebenseitige Füllstory von Fab, in der sich zwei Typen die Geschichte der Rote-Armee-Fraktion auf einer Schallplatte anhören, was der Zeichner mit teils bekannten Pressefotos nachempfundenen Bildern illustriert. Hierzu erfahren wir, daß wir den beiden Protagonisten schon einmal im zweiten Band „Punkrock!“ (bei „Heftich“ 2002 ausgezeichnet) hätten begegnen können, was aber in diesem Fall auf die Verständlichkeit keinen Einfluß hat. Der Comic ist insgesamt das Werk eines eigenständigen, interessanten Talents. Wer sich mit ihm eingehender auseinandersetzen möchte, wird aber wohl um die Beschaffung der anderen beiden Bände nicht herumkommen (Näheres dazu auf www.dassortiment.de).
 
Kaufzwang # 1 mit Chnusper Comics. Abschiedsausgabe. 28 Seiten, DIN A 5 und 36 Seiten, DIN A 6, jeweils s/w, 250 Euro. Oliver Gfeller, Bohrerhofstraße 10, CH - 4123 Allschwil
 
Aufhören, wenn’s am schönsten ist - das ist wohl Oli Gefellers Motto. Denn die letzte Ausgabe von Chnusper Comics, die # 8, hatte mir ziemlich gut gefallen. Jetzt präsentiert er die Abschiedsausgabe mit einer Auswahl der seiner Ansicht nach besten Beiträge der vergangen Jahre samt Nachfolger. Vermißt habe ich im Chnusper-Resümee Olis publizistischen Feldzug gegen die Verflachung des DRS-Radioprogramms. Der wird im neuen Fanzine zumindest vom Tonfall her wieder aufgenommen in Ruedi Nötzlis Kolumne zur wiedereingeführten Basler Polizeistunde (22.00 Uhr). Ansonsten unterscheidet das neue Fanzine eigentlich nicht allzu viel vom alten. Die Comicbeiträge, diesmal unter anderem von Colin Würgler, Moritz Stetter, Aaron Jordan und Oli himself, sind überwiegend interessant und von guter Qualität. Teresa Camara Pestana, Jan Prose und Claudio Parentela steuern zudem noch einige Onepager und Illustrationen bei. Und warum nun der Wechsel? Dazu sagt Oli im Vorwort nur: „Genausogut könnte man fragen, warum ein Mensch gerne ein blaues T-Shirt trägt oder warum diese Person Bircher Müsli so lecker findet.“ Wollen wir jedenfalls mal hoffen, daß Oli das Mitmischen in der Fanzine-Szene weiterhin „lecker“ findet.
 
Bildstörung # 11. 48 Seiten, s/w, DIN A 5, 3,50 Euro. ISSN: 1618-1721. Roman Castenholz, Triftstraße 47, 53919 Weilerswist
 
Neu scheint zu sein, daß es in Romans Kunstmagazin ein Rahmenthema gibt. Vielleicht ist es mir bisher nicht aufgefallen, oder ich habe es wieder vergessen, aber er weist wohl auch zum ersten Mal darauf hin, daß Leute, die ihm Beiträge schicken wollen, sich erst nach dem Rahmenthema der nächsten Ausgabe erkundigen sollen. Diesmal hieß das: Staub. Es scheint sich um eine ganz aktuelle Reaktion auf die kürzlich aufgeflammte Feinstaub-Diskussion zu handeln, aber natürlich sehen die Autoren und Zeichner, die hier versammelt sind, den Staub auch in noch ganz anderen Zusammenhängen. Vom Comicstandpunkt aus hat die neue Ausgabe allerdings wenig zu bieten - eigentlich nichts, sieht man von den Illustrationen ab, die allerdings überwiegend eher künstlerisch kühn collagiert und nicht so sehr grafisch gestaltet sind (unter anderem vom Herausgeber selbst). Bleiben noch die Rezensiuonen zu erwähnen. Auch hier dreht sich’s um Lyrik und Prosa und offenbar eine CD-Reihe vom Label Dronerecords.
 
QI # 73. 24 Seiten, s/w, DIN A 5. Edgard Guimaraes, Rua Capitao Gomes, 168 - Brasópolis - MG - 37530-000, Brasilien
 
Wenn ich auch dieses brasilianische Magazin nach wie vor nicht lesen kann, so kann ich doch spekulieren und zu erraten versuchen, mit welchen Inhalten ich es da zu tun habe. Einen Comic gibt es in dieser Ausgabe jedenfalls nur auf dem Backcover. Zunächst werden einige Fanzines ausführlicher vorgestellt, dan folgt ein Leserforum („Fórum“ betitelt), das es mit dem in PLOP locker aufnehmen kann. Daran schließt sich die in QI übliche Auflistung neuerschienener Fanzines an, wobei stets deren Cover gezeigt und wichtigsten Erscheinungsdaten genannt werden. PLOP scheint diesmal das einzige zu sein, das nicht aus dem brasilianisch/portugiesisch/spanischen Sprachraum stammt.
 
Pecado (Januar 2005). 20 Seiten, s/w, DIN A 5. Edgard Guimaraes, Rua Capitao Gomes, 168 - Brasópolis - MG - 37530-000, Brasilien
 
Neben seinem hier schon wohlbekannten eher indexorientierten Magazin QI gibt Edgard Guimaraes auch dieses Heft heraus, das viel eher dem Charakter eines Comicmagazins entspricht. Hier gibt’s also keine Auflistung internationaler Fanzines, sondern überwiegend Comics von rund zehn Künstlern oder Teams. In den knappen Seitenumfang wurde also ganz schön viel Material hineingepackt. Die Beiträge sind deutlich am amerikanischen Underground orientiert und sehen meist grafisch gar nicht schlecht aus. Der Inhalt wirkt ziemlich sozialkritisch, soweit ich das beurteilen kann. Dazu passen allerdings nicht zwei Textbeiträge im Heft. In einem geht es um die X-Men, in den anderen um Cpatain Marvel (den DC-Charakter Shazam). Die beiden großen US-Verlage sind jedenfalls demnach in Südamerika nicht unbekannt.
 
Neuere Kostenlos-Magazine:
 
Comicaze # 18. 28 Seiten, farbig, DIN A 5. Comicaze e. V., Volkartstraße 32, 80634 München
 
Üblicherweise liste ich neue Kostenlos-Comicmagazine an dieser Stelle nur auf, ohne sie näher zu besprechen. Die dahinterstehende Überlegung ist, daß diese Magazine meist in so schnellem Rhythmus erscheinen, daß ich mit dem Besprechen ohnehin nicht nachkommen würde. Allerdings kann es bei ihnen immer wieder mal Produktionsprobleme geben, Kostenlos-Magazine gehen ein oder werden neu gegründet (siehe „Kainsmal“, „Blümchens Schacht“), so daß sich dieses Prinzip wohl nicht durchhalten läßt. Hier ein paar Bemerkungen zum neuen „Comicaze“, das in letzter Zeit schon nahe am Eingehen war und jetzt mit neuer Aufmachung und in neuem Format erscheint. Kostenlos-Magazine leben nicht nur davon, daß genug Anzeigen eingetrieben werden, sondern auch davon, daß sie dort, wo sie ausgelegt sind, nicht liegenbleiben, denn die Anzeigenkunden werden auf Dauer nur inserieren, wenn sie davon ausgehen können, daß ihre Werbung auch den Adressaten erreicht. Der Comicaze e.V. ist jetzt offenbar zu dem Schluß gekommen, daß ein Heft eher mitgenommen wird, wenn es handlich ist. In München sind Kneipenbesucher ja regelmäßig mit Bergen von Kostenlos-Material und Prospekten konfrontiert. Bisher hatte man eher gedacht: Das Heft soll wertig wirken, daher Albumformat. Bei diesem Gedanken ist man insofern geblieben, als Comicaze durchgehend farbig auf Glanzpapier gedruckt ist (Auflage: 10 000). Beim Cover haben sich die Münchner freilich mit der einen Farbe Rot beschieden - vielleicht um sich wiederum von der knallbunten Kostenlos-Flut abzuheben. Als durchgehendes Rahmenthema wurde „Fetisch“ gewählt, wobei das Cover allerdings nur Erotik im Ungefähren signalisiert. Die Zeichner, unter anderem Jan Reiser, Jan Hoffmann und die Zwei von Laska-Comix, haben durchweg grafisch Hochwertigtes abgeliefert. Hoffen wir mal, daß die Münchner mit der neuen Ausgabe die richtigen Signale gesetzt haben.
 
Berliner Comicgarten
 
Zufällig war ich in Berlin, genau als der Comicgarten stattfand. Mit Comics allgemein und im besonderen habe ich mich in Berlin gar nicht soo viel beschäftigt, außer bei der Suche nach Material für das immer bekannter werdende „Andy's Early Comics Archive“ (wie immer fündig geworden) und außer den drei, vier hektischen Comicgartentagen. Danach hatte ich natürlich die Faxen dicke, aber ein Bericht muß doch irgendwie sein. Wir können die PLOP-Köppe doch nicht in comicfestivalmäßiger Unwissenheit belassen.
Bißchen schade war, daß Wittek und Calle nicht kamen. Wittek ringt gerade mit dem letzten Schliff für das dritte Panik Elektro, wo ich hochpeinlicherweise nicht drin bin, obwohl ich eine gute Storyidee hatte und der anvisierte Zeichenstil auch genehm gewesen wäre. Bin echt eine Nulpe, denn das ist ein tolles Publikationsphänomen. Bekommt bestimmt diesen Extrapreis in Erlangen.
Also, Berlin. Stattgefunden hat es schon wieder woanders, nicht Pfefferberg oder Kulturbrauerei, sondern im Haus Schwarzenberg, wo außen „Waschfabrik“ in alten Lettern dransteht, was ich einen putzigeren Namen fände. Es liegt superzentral, ein Nachbarhaus von den Hackeschen Höfen, aber allzuviele Turis trauen sich möglicherweise nicht rein. Vielleicht sollte man mit dem Berliner Tourismuszentrum einen Deal aushandeln, wo man so'n paar Turitrupps kurz mal zu Comicveranstaltungen rein-lotst. Vielleicht bleibt was hängen und bißchen Pinke Pinke bei den Comicern.
Die „Waschfabrik“ ist das einzige Haus in dieser zentralen Lage, das noch äußerlich ganz unrenoviert bleibt und zeitreisewirkend aussieht wie alles im Osten nach der Wende. Total romantisch. Im Hinterhof, zweiter Stock ist einer der besten Comicläden für Alternativzeug, das „Neurotitan“. Gleich dahinter die Neurotitan-Galerie (man muß also immer durch den Laden gehen), zwei hallenartige Räume (wo wohl früher mal Wäsche produziert wurde). Dort war Donnerstag Abend Vernissage einer Ausstellung namens „Mit Superman fing allen an“. Es ging aber nicht um Superhelden, sondern den Beitrag, welchen jüdische Zeichner und Autoren in der Comicgeschichte hatten. Trotzdem war der Eindruck leider mehr wie von jenen mit „Peng, Paff, Pow“ übertitelten Zeitungsartikeln, wo „mal was über Comics“ geschrieben wird. Kommt natürlich darauf an, wie man „alles“ definiert, aber zutreffender wär‘ zu behaupten „Mit Superman hörte alles auf“, nämlich der entscheidende amerikanische Innovationsschub, der den Comic oder die Bildergeschichte gegen 1900 aus dem Dornröschenschlaf der altmodischen, sprechblasenlosen, mini-episodenhaften Bildsequenz in eine supermoderne Literaturform verwandelte. In den dreißiger Jahren hupfte die Comicmuse wieder zurück zur Bildliteraturwiege Europa, wo Hergé die endgültige Erscheinungsweise des Mediums etablierte, das hochkantige, umfangreiche Album. Daran ändert auch nichts, daß es heute vermehrt kleine fette, manga-inspirierte Publikationen gibt, die Schwarzweiß-Alben von Tintin waren auch schon fett. Entscheidend ist der Anspruch, ein Buch zu sein.
In den 50er und 60er Jahren wurden auch Frankreich und Italien immer wichtiger. Zum Beispiel waren die besten Disney-Arbeiten die vom gerade verstorbenen Hypergenie Romano Scarpa. Viele der Geschichten habt ihr vielleicht sogar gelesen, in den Lustigen Taschenbüchern. Scarpa geht etwas unter, wegen der eher langweiligen Massenware darin, aber seine Klassiker sind zeichnerisch und erzählerisch so unglaublich gut, daß ich es jedesmal beim Aufblättern nicht fassen kann, wie der das gemacht hat. Ich werde euch mal für's nächste PLOP einen Index seiner deutschen Veröffentlichungen zusammenstellen, damit das alle kapieren, wie toll der war, und als angebrachte Würdigung.
Zurück zu Berlin: Stargast war der New Yorker Ben Katchor, neben Spiegelman und Eisner (der, wenn's nach mir gegangen wäre, bis 100 gelebt hätte) der bekannteste „typisch jüdische“ Comiczeichner, obwohl genauer wäre „typisch New Yorker Comiczeichner“. Der war auch überhaupt nicht davon angetan, in was für eine Ausstellung er reingerutscht war. Seine Rede am Freitag begann er damit klarzustellen, daß Bildergeschichten schon lange existierten, als Superman auftauchte. Außerdem hielte er das Hervorheben des jüdischen Einflusses auf Superman für übertrieben. Das waren einfach junge Einwanderer. Gruppenausstellungen mißfielen ihm sowieso (außer ganz große), aber vor allem hielt er nichts davon, mit anderen ausgestellt zu werden, nur weil die auch jüdisch seien, und nicht weil es einfach gute Comiczeichner sind.
Die Verbindung Superhelden/Juden kam ins Gespräch aufgrund des fiktiven Romans von Michael Chabin, in dem zwei junge jüdische Zeichner einen Superhelden erfinden, also verschlüsselt Siegel und Schuster. Katchor mag Chabin und auch das Buch, aber hält es nicht für sein bestes. Es sei jedenfalls pure Erfindung. Die Leute entdeckten darin einen besonderen jüdischen Subtext, und er sei nicht sicher, ob der existiere. Es gebe natürlich jüdische Comics, aber das seien nicht Superhelden, sondern Strips in jüdischen Zeitungen der 20er, 30er Jahre, die Alltagsgeschichten erzählten. (Diese auszustellen, wär‘ hochinteressant, aber das erfordert natürlich richtig Arbeit und Fachwissen.) Das Entscheidende sei nicht, ob der Autor nun zufällig jüdisch sei, sondern ob es in der Geschichte um jüdische Themen gehe. Er war also nicht ausnahmslos begeistert davon, nach Berlin zu kommen, aber dann doch, weil ihm Berlin gefalle (er war schon mal vor zwei Jahren hier), und seine Diavorträge machten ihm sichtlich auch großen Spaß. Er sieht sich hier in der Tradition der Bänkelsänger, die zu Bildertafeln auf Jahrmärkten tragische Geschichten vortrugen. Auch Comics allgemein sieht er weniger verwandt mit Literatur oder Malerei als Theater. Ich glaube, es ist noch komplizierter, aber wenn man überhaupt Vergleiche zieht, ist dieser am funktionierendsten.
Katchor hatte das Comicsvorlesen gut drauf, mit einer leicht schnodderigen, entspannten, aber trotzdem quicklebendigen, ansprechenden Vortragsweise. Ich war erstmal skeptisch ob das geht, es ging aber. Von der Comicseite (aus einer Serie für ein großformatiges Architekturmagazin) wurden Einzelbilder, teilweise bunt, an eine Leinwand geworfen. Der Erzähltext nicht, der wurde nur vorgelesen, den Sprechblasentext aber konnte man lesen und hören. Hört sich überflüssig an, gab aber durchaus eine zusätzliche Comicleseerfahrungskomponente. Weiß nicht, ob das andere Zeichner probieren sollten. Der Katchor war mit seinem näselnden, understated-tem New Yorker Singsang voll in den Geschichten und seinem Element. Dazu meinte er später, „I think this is kind of like an animated movie.“ („Ich glaube, das ist so ein bißchen wie ein Zeichentrickfilm.“) Er findet das eine gute Präsentationsform seiner Comics. Auch die Bilder wirkten schöner so groß und bunt, sogar besser als die Originalzeichnungen. Es sei ihm aber wichtig, daß es direkt vorgetragen wird, nicht abgefilmt. Ich fände es trotzdem gut, seine Vorträge zumindest für die Nachwelt zu dokumentieren. Dieses Vortragen ist eher eine Mischform, kein reiner Comic. Beim Comiclesen ist entscheidend, daß der Betrachter nach eigener Geschwindigkeit mit Lesen und Betrachten fortschreitet. Bei einem öffentlichen Vortrag ist es ein bißchen gemischt, denn der Vorleser richtet sich mit der Geschwindigkeit nach den Reaktionen des Publikums. Als Film wäre das Ganze eher nervig, außer halt ein Livemitschnitt als Dokumentation. Der Unterschied zwischen den Kunstformen Comic und Kino, auf den Punkt gebracht, ist folgender: Eine Bildergeschichte als Diashow, wo der Betrachter selber aufs Knöpfchen drückt, ist ein Comic. Wenn wer anders draufdrückt, wird es zum Kino.
Am Samstag war eine Podiumsdiskussion mit zwei Israelis, einer davon der populäre Schriftsteller und Drehbuchschreiber Etgar Keret. Ich kannte ihn von einem Buch der Gruppe Actus Tragicus, „Jetlag“, wo er die Texte lieferte. Die waren mit dem Buch vor ein paar Jahren in Erlangen zu Gast, mit Tisch und Ausstellung (oben, gleich wenn man die Treppe hochkam). Keret und ein eher mainstreamiger, aber nicht uninteressanter Zeichner, Asaf Hanuka, erzählten einiges über Israel, zum Beispiel wie amerikanische Superheldenheftchen exotisch und obszön wirkten, weil es keine Tradition von heldenhaften Halbgöttern gebe. Selbst das christliche Abendland habe jede Menge heldenhafter Ritter und Abenteurer. Israelische Helden seien Propheten, die den Arsch nicht hochkriegen und Sachen verkünden. (Es gibt, glaube ich, aber doch einige ziemlich blut- und tatendurstige Kerle im Alten Testament.) Interessanter finde ich die Frage, inwieweit die Bildfeindlichkeit der jüdischen Religion der auch in Israel existierenden Comicfeindlichkeit eine besondere Note verleiht, oder ob es einfach ein Erbe des mitteleuropäischen bildungsbürgerlichen Schubladendenkens ist. Keret meinte dazu, Israel sei mehr von Osteuropa, besonders Rußland, beeinflußt.
Ich bin nach wie vor der Meinung, das Medium Bildergeschichte konnte nur entstehen, weil jüdische Bilderfeindlichkeit auf die religiöse, aber zweitklassige Bildtradition der Römer stieß (die griechischen Kunstgenies hätten sich nicht so leicht reinfunken lassen). Bisher bin ich (glaube ich) der einzige, der diese Theorie vertritt, aber Ihr sollt mal sehen, wenn sich das durchsetzt, gibt es andere, die das schon immer wußten.
Auch auf dem Podium war Elke Steiner, deren Zeichnungen erstmals ein israelisches Comicszenario (von Keret) illustrierten, was eine spannende Entwicklung sein könnte. Vielleicht nicht immer nur Holocaustkram, denn das Spannungsverhältnis zwischen Deutschland und Israel könnte zu ungewöhnlicher Zusammenarbeit ganz allgemein führen. Allerdings sind Israelis auch ganz normale, amerikanisierte Bürger der westlichen Welt, halt mit der etwas nerviges Situation, daß die mittelalterlichen Nachbarländer sie ausrotten wollen. Eine Zusammenarbeit wäre also vielleicht nicht viel anders als die zwischen Europäern und Amis.
Noch was zu der Ausstellung. Aus Kostengründen waren es keine Originale, sondern Farbkopien. Das war für Zeichner natürlich weniger interessant, denn wir wollen ja wissen, wie das gemacht wurde. Wenn schon, dann sollten Fotokopieausstellungen mit obergigantischen oder zumindest sehr großen Formaten arbeiten, damit man richtig was zu gucken hat. Ansonsten kann man die Seiten doch viel besser als Buch betrachten. Ein paar Arbeiten von Krigstein waren etwas größer, und das sah auch gleich viel besser aus, besonders weil sie nicht an der Wand, sondern an Fäden im Raum hingen. Diese dreidimensionale Komponente, in Verbindung zur zweiten und vierten Dimension der Comics, macht sich nicht schlecht.
Am Sonntag hielt Lutz Göllner einen Vortrag zu Superhelden. Der war wohl glücklich, mal so richtig über Hauptstromcomics zu berichten, und das im Rahmen einer Alternativveranstaltung, sozusagen den Gegner unterminieren. Der Vortrag war etwas holperig, gut wurde Göllner, als er sich danach den Fragen stellte, also umgekehrt, wie man glauben könnte. Ein etwas trotzphasiger Jugendlicher nörgelte wiederholt an Göllners Behauptung rum, der Comichasser Wertheim sei zum Buhmann gemacht worden und hätte aus gutem Gewissen gehandelt. Entschieden bedenklicher fand ich die Aussage, ohne Wertheim hätten die Comics heute den Stellenwert von Literatur und Kino. Aber wie gesagt, ich meine schließlich, mit Superman hörte alles auf.
Comicgarten: Die Verkaufsstände draußen waren Samstag und Sonntag abzuklappern. Nicht sehr viele, halt die Berliner, Weißblech, ein Gemeinschaftsstand aus Hamburg, Köln und anderem und paar weitere, wie eine sympathische Anthologie aus der Weimarer Kunstakademie namens „Eins Null Eins“. Das sind jährliche, aufwendig selbstproduzierte Bücher mit Themen. Nr. 1 waren Comics zu Texten aus einem alten Knigge (dieses Benimmbuch), von dem ich das letzte Exemplar erwischte, in Nr. 2 geht es um „Kindheitstraumata“, mit einem schönen Titelbild sowie Anfangsstory von Nadja Rümelin (mehr dazu: www.1null1.com).
Der Comicgarten war also diesmal eine eher sehr kleine Angelegenheit. Der Ort und Namenswechsel (manchmal Comicfest Berlin) hilft auch nicht, die Sache als Alternativ-Erlangen zu etablieren. So eine Stadt wie Berlin macht es überhaupt schwierig, mit anderen Veranstaltungen zu konkurrieren. Andererseits gibt es hier auch mehr Publikum, muß man nur finden und dann auch was Tolles anbieten. Solange wir nicht wesentlich mehr richtige Bücher rausbringen, also imposante Projekte, wird das alles nüscht. PLOP ist was anderes, da ist einfach die regelmäßige Langlebigkeit schon sehr imposant. Nur mit dem Inhalt kann man sich leider doch immer wieder schön rumärgern (siehe „Lesergesabbel“).
Andy Bleck
 
Internet-Comics
 
Um diesen Bereich will sich künftig schwerpunktmäßig Max Jähling kümmern. Keine schlechte Sache, zumal Max selbst im Internet ziemlich aktiv ist (siehe www.dreadful-gate.de). Am Anfang wird’s freilich für ihn ein bißchen schwierig sein. Wäre schön, wenn Ihr ihn mit Hinweisen auf interessante Websites unterstützen könntet (auch Eure eigenen – warum nicht). Max ist unter jaehling@gmx.de oder Bremerhavener Straße 65, 28217 Bremen zu erreichen (falls Ihr ihm Papier-Fanzines schicken wollt).
Beginnen wir mit zwei Websites, auf die ich in letzter Zeit gestoßen bin, Kim Schmidts „Comiczeichenforum“ und Andreas Döllings „Fanzine-Index“.
Kim Schmidt hat vor einigen Jahren bei Carlsen einen Ratgeber, eben den „Comiczeichenkurs“ herausgebracht. Parallel bot er damals auf seiner Website einen Zeichenworkshop an. Den baute er dann zusammen mit dem Programmierer Jan Paepke zu dem heutigen Diskussionsforum aus. „Ich wollte eben eine Möglichkeit für Anfänger und Nachwuchszeichner schaffen, wo sie mal relativ schnell und einfach ihre Werke posten können“, sagt Kim dazu. Heute kann man sich hier sowohl über Themen rund ums Comiczeichnen austauschen als auch seine Werke online präsentieren und gegenseitig bewerten. Neben Kim geben auch andere hochkarätige Zeichner Tips, wie zum Beispiel kürzlich Flix.
Über den Fanzine-Index weiß ich selbst noch nicht allzu viel. Auf die Seite gestoßen bin ich kürzlich, als ich nur zum Spaß herausfinden wollte, ob es das Stichwort „Fanzine“ im Internetlexikon „Wikipedia“ gibt. Gibt es, und zudem wird auf eben jene Website verwiesen. Macher Andreas Dölling gibt selbst das Fanzine „Blut im Stuhl“ heraus (dazu mehr in der nächsten Ausgabe). Fanzinemacher können hier ihre eigene Publikation vorstellen. Dazu gibt es eine vorgefertigte Maske, man kann aber Teile davon auch frei gestalten. Andreas Dölling läßt sich im Normalfall ein Exemplar des vorgestellten Fanzines zusenden, bevor er die Informationen freischaltet, damit er nicht Opfer eines üblen Scherzes wird. Vorgestellt werden hier Fanzines aller Art, nicht nur über Comics, sondern auch aus den Bereichen Politik, Literatur, Sport, Musik, Szene, Rollenspiele und „Sonstiges“ (man kann ja nie wissen). In einigen der Themenfelder sind schon mehr als 30, bei Musik sogar mehr als 50 Fanzines beisammen, trotzdem ist die Seite ersichtlich noch im Aufbau. Offenbar sucht sich Andreas Dölling die Fanzines nicht selbst zusammen, sondern wartet, bis sich die Fanzinemacher selbst bei ihm melden. Trotzdem ist die Website nicht uninteressant, und es könnte noch ein wertvolles digitales Nachschlagewerk daraus werden.