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Anmerkung: Das da unten sind alte Comic-Besprechungen die im Comic Fanzine 'Plop' erschienen. Die meisten sind von Andreas Alt ('aa') verfasst. Natürlich sind die Angaben nicht mehr gütig, Hefte vergriffen, Zeichner umgezogen, Währung geändert etc. Aber für den einen oder anderen vielleicht ganz interessant hier zu schmökern...

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Plop 44
Besprechungen



cOMIc # 17 und 18. Je 28 Seiten s/w DIN A5. Im Tausch gegen Beiträge, andere Fanzines oder große Scheine. Gerd Bonau, Eckernförder Straße 30, 24398 Karby.
 
Obwohl (oder weil?) er nach eigener Aussage alles druckt, was er angeboten bekommt, schafft es Gerd Bonau immer wieder, einen interessanten, wenn auch kleinen Querschnitt durch das ganze Spektrum der Fancomics zu präsentieren. Kurzporträts gibt’s diesmal von Bernd Teuber (# 17) und Karsten Schley (# 18), deren Arbeiten neben denen von Ulrich Magin auch die Highlights dieser beiden Ausgaben bilden. aa
 
Menschenblut # 18 und 19, je 32 Seiten s/w plus vierfarbiger Umschlag, Comicbook-Format. 6,80 Mark. Eisenfresser Comix, Postfach 1141, 36094 Petersberg.
 
Die übliche Mischung von Qualitäts-Horror. Bilder-Micky hat eine unveröffentlichte Story aus frühen MB-Tagen ausgegraben, und Kim Schmidt stellt mit dem Comic „Leibesübungen“ einmal mehr sein virtuoses Können unter Beweis. Zum Kauf empfohlen (nur für Erwaxene). hg
In der Nummer 19 sind die Anmerkungen von Doc Dipperz endlich länger als die Leserbriefe selbst. Im Magazin erfahren wir, warum Robi und seine Freunde seit „Schlagring ‘84“ keinen Film mehr auf die Beine gestellt haben. Es gibt eine wunderschön in der Schwebe gehaltene Geschichte von Rochus Hahn und Stefan Atzenhofer über einen Kinderschänder (oder ist er’s doch nicht?). Jürgen (Geier) Spehs Lena Wombat (das deutsche Tank Girl) gewinnt Geschmack am Briefmarkensammeln. Die schon angekündigte Gunbitch ist erstmal auf einen Monolog von einer Seite beschränkt. Dafür kriegen Abonnenten eine Gunbitch-Kunstpostkarte. Dann haben wir noch eine verschärfte Kasper-Hauser-Geschichte von Pelle und BiMi und einen gespielten Witz - nur von BiMi. Auch auf dem Umschlag wie immer exzellente Grafik. aa
 
Terrorsuse. 132 Seiten (!) s/w mit eingeklebten Fotokopien und aufwendig gestaltetem Cover DIN A5. 5 DM. Shadow Dancer c/o Stephen Janke, Schinkenkamp 11, 32425 Minden.
 
Shadow Dancer und Levi’athan in Love, die beiden Chaos-Fanzinemacher aus Minden, haben ihre Hefte Terrordome und Wimmersuse zusammengeworfen und eine pralle Terrorsuse daraus gemacht. Wirkte der erste Terrordome noch etwas lieblos zusammengeschustert, und war die Wimmersuse schon immer ein Zine, an dem sich die Geister schieden, so ist bei diesem Zusammenschluß nun ein Magazin herausgekommen, das durchaus zu empfehlen ist. Es ist zwar immer noch einiges aus der Rubrik „rar und rätselhaft“ zu finden, aber auf satten 132 Seiten ist garantiert für jeden etwas dabei, das den Kaufpreis lohnt. Namen wie Jo 84, Kim Schmidt, Andreas Alt, Stefan Dinter oder Karsten Schley dürften inzwischen für sich sprechen. Mein persönlicher Favorit in dieser Ausgabe ist Rainer Baldermann, dessen irgendwo zwischen Sieber und Rattelschneck angesiedelte Stories ja auch aus PLOP bekannt sind. hg
 
Sprühende Phantasie
# 14. 48 Seiten s/w DIN A4. 6 Mark. Flying Kiwi Verlag, Jens Junge, Schloß Glücksburg, 24960 Glücksburg. ISBN 3-926055-07-3.
 
In dieser neuen Nummer seines Magazins zeigt Herausgeber Jo 84, daß er nicht nur als Chefredakteur ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Beiträge hat, sondern mit diesem auch noch prima inken kann: Bei gleich drei Comics stammt die Tusche von ihm. Interessant dabei ist besonders „Der Wilde Wolfhard“ von Oliver Ferreira, denn hier hat der Leser unmittelbar die Möglichkeit, die von Jo geinkten Seiten mit anderen im Heft abgedruckten Arbeiten zu vergleichen, die Oliver allein gestaltet hat. Sein „Gesang des Erhabenen“ zeigt einen neuen, recht experimentellen Zeichenstil, der zwar graphisch sehr ansprechend ist, aber leider etwas auf Kosten der Lesbarkeit geht. Außerdem präsentiert Jo ein wie immer sehr aufschlußreiches Interview mit ICOM-Preisträger Markus Huber. aa
 
Filmriß # 3. 40 Seiten DIN A4 s/w plus vierfarbiger Umschlag plus Bonusheft DIN A6. 6,80 Mark. Amigo Comics c/o Holger Bommer, Starenweg 18, 73730 Esslingen.
 
Auch das Magazin von Holger Bommer und Andreas Mergenthaler kommt inzwischen recht professionell daher. Da sich Holger auf Funnies spezialisiert hat, Andreas dagegen auf realistisch gezeichnete SF und Fantasy, ist die Abwechslung von vornherein gewährleistet. Gastzeichner wie Thomas Harske, Manfred Zukunft oder Martin Frei (der drei Seiten von Andreas’ neuer McDrive-Episode übernommen hat, was zu einem interessanten Stilbruch führt) tun ein übriges dazu. Absolutes Highlight ist die wahre Geschichte des ICOM, gezeichnet von Holger Bommer - für Mitglieder ein Muß, für alle anderen ein höchst informativer (und amüsanter) Einblick in das Innenleben von Deutschlands Comic-Fachverband. aa
 
Moga Mobo # 1 bis 4. Je 16 Seiten s/w mit vierfarbigem Umschlag DIN A4. Liegt in Stuttgart und Umgebung überall kostenlos aus, ansonsten eventuell über Cobalt Productions c/o Christof Ruoss, Im Häldle 24, 70327 Stuttgart (Bezugsbedingungen selbst erfragen).
 
Nun hat also auch Stuttgart sein durch Anzeigen finanziertes Gratis-Comicheft. Es erscheint ab sofort zweimonatlich, präsentiert ausschließlich Zeichner (und -innen) aus dem Ländle und zeigt, daß es hier noch mehr Talente außer Peter Puck und Haimo Kienzler gibt. Was die redaktionellen Beiträge von Chefredakteur Christof Ruoss (vormals Caiser’s sehr feine Comics) angeht, muß man zum Glück nicht unbedingt seiner Meinung sein. hg
 
Art Attack # 3. Fanzine für Comics und Musik. 44 Seiten s/w DIN A4. 4 Mark. Angi Henn, Dreieichweg 9, 64291 Darmstadt.
 
Letztes Jahr gab es im Radio („Zündfunk“, Bayerischer Rundfunk) eine eineinhalbstündige Sendung nur über Fanzines, und die, welche wir so kennen, nämlich Comic-Fanzines, kamen darin überhaupt nicht vor. Auch wer sich mal einen Katalog eines Fanzine-Vertriebs schicken läßt, wird feststellen, daß es eine ganze Menge ausgefallener Titel gibt, von denen wir Comicfans überhaupt nichts mitbekommen. Die meisten davon sind Punk-Fanzines (Punk - wir erinnern uns: ab 1977 - war für Fanzines überhaupt eine äußerst wichtige Bewegung mit der Philosophie: Jeder kann Gitarre spielen, jeder kann ein Magazin herausgeben) und Literatur-Fanzines mit fließenden Übergängen zu Ego-Zines. Dies vorweg. Nun bekam ich neulich ein Fanzine auf den Tisch mit Punk-typischem Design, Konzertberichten und Bandinterviews und mit 27 Seiten Comics - also mehr als die Hälfte des Umfangs. Fand ich verwunderlich, ohne mir das richtig erklären zu können. Gut, daß ich Angi Henn geschrieben und meine Eindrücke mitgeteilt habe, denn sie antwortete mir: „Das mit dem Art Attack als Punk-Fanzine fand ich lustig. Angefangen hat das Heft als reines Comic-Fanzine circa 1990, und ich war ständig am Zeichner-Jagen, weil niemand Lust hatte mitzumachen. So ergaben sich auch die ewig langen Abstände zwischen den Heften. Die Umstellung zum Fanzine für Comics und Musik war eine echte Notlösung, weil ich sonst das Heft einfach nicht vollbekommen hätte.“ Die Comicautoren und -zeichner dürften uns ziemlich unbekannt sein, es sind: Jan Ahrens, Sven Bahr, Bo Beckmann, Marko Schacher, Dirk Tacke und ein Medienzentrum Contra aus Berlin. Vielleicht macht ja jemand von Euch mal bei Art Attack mit, damit die arme Angi nicht mehr so viel auf die Jagd gehen muß. Auf jeden Fall lohnt es sich, Art Attack anzufordern. Für manche sicher eine ganz neue Fanzine-Erfahrung. Angi Henn fühlt sich denn auch in anderen Szenen mehr bestätigt: „Die Reaktionen aus dem Punk-Fanzine-Bereich sind sehr positiv, aus der Comic-Ecke habe ich bis jetzt so gut wie gar keine Reaktionen bekommen, und wenn, ging es mehr um die Qualität einzelner Zeichner als um das Heft als Ganzes.“ aa
 
Brigitte Schroeder: Faul und stinken. 56 Seiten s/w DIN A4. 7,80 DM. Edition Panel im Dreieck Verlag Jens Neumann, Nerotalstraße 38, 55124 Mainz.
 
Am meisten beeindruckt mich, daß Brigitte Schroeder über ein ganz eigenes hermetisches Zeichensystem verfügt. Ihr Personal sind eine nackte Frau, ein schwarzes Wesen mit Krone (erinnern an den Froschkönig und die Prinzessin) und einige überwiegend weiße Zwerge, alle gezeichnet in harten Schwarzweiß und einem recht einfachen Formenkanon. Mit ihnen konstruiert Brigitte Schroeder kurze Comicstücke, in denen mal ein Werbespruch, mal ein Schlagertext verwurstet werden. Sie spielt mit Schlagworten wie „sozialer Sprengstoff“ oder „hochwertiges Spielzeug“. Ich stelle mir vor, daß diese teils unauslotbar tiefgründigen, teils skurrilen und manchmal platten Arbeiten spontan beim Fernsehen oder Zeitunglesen entstehen. Manches erscheint sehr persönlich; ich komme jedenfalls auf der Suche nach dem Code nicht recht weiter. Welchen Gewinn die Lektüre von „Faul und stinken“ dem Leser bringen soll, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Es ist einfach ein faszinierendes Rätselheft. Ein Co-mic von Brigitte Schroeder war übrigens auf den Mittelseiten von PLOP # 42 zu bewundern. aa
 
Panel - ambixious Comix # 14. 68 Seiten s/w mit vierfarbigem Cover DIN A4. 4 Mark. Panel eV, Verein zur Förderung der Neunten Kunst, Postfach 102665, 28026 Bremen.
 
Das neue Panel erinnert sehr, mehr noch als frühere Ausgaben, an Strapazin und soll wohl auch daran erinnern. Depressive Comics wie etwa von Jörg Schiebe oder Dice und clevere subkulturelle Essays, etwa über das Werk von Neil Gaiman, allerdings mit postmodernen typografischen Sperenzien, die schon deutlich auf Kosten der Lesbarkeit gehen - das Vorbild dieser Kombination ist klar. Aber die Übertreibungen im Design werden aufgewogen durch die Beiträge von Haimo Kienzler („Herr Wüttner und Frau Kleinschrott“) und Peter Puck („Rudi“), beste Unterhaltung, die einen netten Kontrapunkt zum hehren Kunstanspruch setzen. Schön ist das Cover, das spät, aber wirkungsvoll die peinlichen Werbeaktionen von Benetton verspottet; Geschmacklosigkeiten soll man halt denen überlassen, die sowas souverän zu handhaben verstehen, zum Beispiel der Blutkru (siehe oben). Bert Dahlmann hat übrigens für diese Panel-Ausgabe eine Menge Anzeigen verkauft, zwei davon sogar in Farbe. Daß das Unternehmen Panel offenbar floriert, ist uneingeschränkt zu begrüßen. aa
 
Isabel Kreitz: Ralf lebt. 52 Seiten s/w mit Farbcover DIN A4. 8 Mark. Zwerchfell Verlag, Christian Heesch, Tonndorfer Strand 57, 22045 Hamburg.
 
Ein überflüssiges Album. Trotzdem großartig. Um es mal so auszudrücken: Wenn ich ein so tolles Werk wie „Schlechte Laune“ (siehe PLOP # 42) vorgelegt hätte, dann hätte ich wohl auch der Versuchung kaum widerstanden weiterzumachen. Am Ende dieses Bandes war alles gesagt: Ralf hatte sich damit abgefunden, in der Unterwelt Hamburger S-Bahn-Schächte lebendig begraben zu sein. Susanne hatte einen neuen Freund. Die Stadt schloß das Kapitel mit der Ankündigung, einsturzgefährdete Tunnel mit Elbschlick zu vefüllen. Vielleicht ein etwas zu grausam pessimistisches Ende, aber sehr ergreifend. Was blieb noch zu sagen? Für Ralfs Freunde und Verwandte war er verschollen. Aber das entsprach ja seiner Lage. Und jetzt - Ralf II. Die Rückkehr des S-Bahn-Surfers! Noch ausgefeiltere Zeichnungen, wieder diese beklemmende Stimmung des alltäglichen Horrors. Bauleute beginnen, Kanäle zu vermauern und zuzuschütten. Ralf und seine Leidensgenossen leben von geklauten Lebensmitteln wie die Creeps aus Will Eisners „Geheimnis der Unterwelt“. Und am Ende werden sie entdeckt. Ralf wird zur Mediensensation. Erstere Ereignisse waren abzusehen. Letztere wollte ich lieber nicht lesen. Manchmal macht es Sinn, eine Geschichte nicht fertigzuerzählen. aa
 
Schnalke / Baltscheit: Valerius der Comicagent. Band 1: ...vom Index bedroht! Band 2: Zeitlos. Je 56 Seiten, farbig, Hard-cover, Albumformat. Carlsen, je 39,80 DM.
Ottavio de Angelis / Anna Brandoli: Cuba ‘42. Die Perle der Karibik. 48 Seiten, vierfarbig. Softcover, Albumformat. 16,90 DM. Carlsen.
 
„Valerius“ von Schnalke und Baltscheit: ein deutscher Comic, eine Originalproduktion aus dem Hause Carlsen. Im ersten, 1992 erschienenen Band jagte der Held im Auftrag des ominösen „Comic-Imperiums“ die in die Jahre gekommene Krimi-Legende Ric Hochet... Verzeihung: Rick Snere, dessen plötzliche und unkontrollierbare Anfälle von Gewalttätigkeit seine Serie auf den Index zu rücken drohten. Der zweite Band erzählt nun, alles in allem, die gleiche Geschichte. Erneut muß Valerian... Verzeihung: Valerius in die Welt der bunten Bilder reisen, um einen rebellischen Helden zur Raison zu bringen. Diesmal ist es der alte Kronau, ein verdienter Comic-Veteran, der gleichwohl nicht einsehen will, daß seine Zeit, sprich: seine Serie, abgelaufen ist und er in Pension gehen soll. Und erneut ist diese magere Plot für die Autoren nur ein Vorwand. Ihre große, ihre einzige Liebe gilt dem Meta-Gag. So befreit Valerius sich etwa aus einer mißlichen Lage indem er, wie eine Stimme ihm empfiehlt, einfach umblättert. Oder er landet auf dem Tisch seines Zeichners, ein Ort, den bereits Gotlibs „Witzbold“ besucht hat. Am Ende beginnt das Abenteuer gar von neuem, da die Seiten des Albums rückwärts numeriert sind. Diese selbstironische Thematisierung des Mediums ist zwar recht witzig, nutzt sich aber schnell ab. Auf Albumlänge gebracht, zum einzigen Inhalt gemacht, ist sie nicht nur langweilig, sondern peinlich. Schnalke und Baltscheit entfalten eine Poetik des Augenzwinkerns, die nicht mehr erzählen, sondern sich nur noch kumpelhaft verständigen will. Der Leser soll unter eine Decke; er wird in die warme Gemeinschaft derer gezogen, die sich auskennen und dafür einander wechselseitig beglückwünschen. Ein Schelm, wer dieses Spiel nicht mitmachen will. Ein großer Bluff ist dieses Album auch in zeichnerischer Hinsicht. Baltscheit versteht zwar sein Handwerk. Er zeichnet sehr schwungvoll, hat einen eigenen Stil. Aber er verdirbt alles durch seine Neigung zu hektischen Effekthaschereien und delirierenden Arrangements. „Zeitlos“ ist ein ebenso pompöses wie nichtssagendes Album. Wohltuend dezent ist dagegen der Zeichenstil Irene Brandolis. Schade, daß ihre in der Renaissance spielende Serie „Rebecca“ bislang ohne deutschen Verlag geblieben ist; der kleine Auszug, den Karlheinz Borchert im sechsten Band seiner vorzüglichen „Macao“-Reihe vorgestellt hat, macht sehr neugierig. Brandoli besitzt die in den Comics viel zu seltene Fähigkeit, Menschen zu zeichnen. Nicht die üblichen Dutzendhelden und Dutzendschurken, sondern wirkliche Menschen mit individuellen Gesichtern und Körpern, in deren Mimik, Gestik und Haltung sich ihre Gedanken und Gefühle widerspiegeln. Erstaunlich, daß der Zeichnerin dies gelingt, obwohl ihr Stil recht reduziert, alles andere als fotografisch ist. Auch läßt sie ihre Figuren niemals schauspielerische Posen einnehmen, um etwas „darzustellen“. - alles wirkt vielmehr ganz natürlich, dem Leben abgeschaut. Im Vergleich zu „Rebecca“ ist der Einfluß von Hugo Pratt und José Munoz zurückgetreten. „Cuba ‘42“ vermischt in glücklicher Weise den expressiven Stil der Vorbilder mit realistischen Elementen. Wie Munoz schreibt Brandoli Geschichten in Gesichtern, meidet aber extreme Close Ups und groteske Verzerrungen. Wie Pratt arbeitet sie direkt, ohne Umschweife, wahrt aber dabei den Blick für Details. Die gelungene Colorierung rundet das erfreuliche Gesamtbild ab. Und der Inhalt? Ach ja, den könnte man fast vergessen. „Cuba ‘42“ ist ein Abenteuercomic, der im Kuba des Jahres 1942 spielt. Nazis, Spione, Schüsse, Explosionen, eine schöne Frau, ein desillusionierter spanischer Antifaschist, ein amerikanischer Schriftsteller, der an Hemingway erinnert und an Hemingway erinnern soll. Mit einem Wort: Nichts, was man nicht schon woanders und besser gelesen hätte. Etwa bei Pratt, dessen Kunst, die Linien des Geschehens letztlich im Spiel, im Ungefähren verschwimmen zu lassen, Ottavio de Angelis nachahmt. Allerdings ohne den poetischen Zauber des großen Venezianers zu erreichen. Was verbindet die beiden so unterschiedlichen, durch Zufälle der Edition zusammengetroffenen Alben? Erstens der Eindruck, daß man einen Comic sowohl durch das lustlose Nachbeten allzu erprobter erzählerischer Rezepte („Cuba ‘42“) als auch durch alberne Insider-Gags und falsche zeichnerische Ambitioniertheit („Valerius“) verderben kann. Zweitens der Eindruck, daß die europäischen Comics in einer tiefen Krise stecken. Aber das tun sie schon seit Jahren. Hans Lucas
 
Frederic Tuten: Tim und Struppi in der neuen Welt. Roman. Amman Verlag, 34 Mark.
 
Parodien haben mich immer fasziniert. Die Möglichkeit, gute Bekannte aus den Comicserien mal ganz anders agieren zu sehen, ist einfach reizvoll. Neben den Giganten Disney und Asterix, deren inoffizielle Parodierung ja schon einigen Comicmachern großen Schaden einbrachte (man denke nur an „Mickey Mouse meets the Air Pirates“ oder die Asterixparodie „Hysterix“) ist Tim speziell im französisch-niederländischen Sprachraum ein beliebtes Opfer der Parodisten gewesen. Ob man ihn nun als unrasierten, verantwortungslosen Globetrotter oder als verzweifelt ums Erwachsenwerden bemühten Jungen (zum Beispiel in dem Album „Tim und Struppi in der Schweiz“) oder als hoffnungslos in seiner Rolle festgefahrenen Profi („Im Lande der eckigen Sprechblasen“) erlebte, den besseren Werken dieser Art war immer gemein, daß sie sich mit der Psyche der Figuren auseinandersetzten. Dies hat auch Frederic Tuten, amerikanischer Literaturwissenschaftler und Freund Herges, ernsthaft versucht, und das Resultat ist durchaus lesenswert für Tintin-Kenner. Das einzige Problem: Es ist kein Comic, sondern ein Roman, und dann noch einer mit literarischem Anspruch. Die Story ist einfach: Tim, Struppi und Haddock werden durch eine geheimnisvolle Botschaft nach Südamerika gerufen, wo sie in einem Hotel mit diversen Figuren aus Thomas Manns „Zauberberg“ (einem 1000-Seiten-Giganten von Roman) zusammentreffen. In langen Unterhaltungen und einem hochinteressanten, mehr als 60 Seiten währenden Traum Tims (Seite 65 bis 132) werden die Figuren ausgeleuchtet, mit Liebe, Eros, Kunst und Politik konfrontiert, als hätte sich der Autor vorgenommen, die alten Vorurteile gegenüber Comics auszuloten, die beinhalten, daß es diese Aspekte entweder nicht oder nur in verkümmerter, beschränkter Form in Comics gebe. Tim verliebt sich überraschend übergangslos und schnell in die ältere, welterfahrene Clawdia Chauchat und spielt im oben erwähnten Traum ein ganzes Leben mit ihr durch. Man sieht ihn als feurigen Liebhaber, als Abenteuergefährten, der sogar Struppi in einer Notsituation für seine Freundin opfern würde (das stärkste Symbol des Unschuldsverlusts in diesem Buch), dann als Vater und Herrn auf  Mühlenhof, als Clawdias Komplizen in morbiden Racheakten, schließlich als betrogenen Ehemann und verbitterten Witwer. Diese Parodie, wenn man sie so nennen mag, da eine solche Entwicklung im Comic ziemlich undenkbar ist, überzeugt und liest sich stimmig und dramatisch. Vor allem Haddocks Vergreisung und der Tod des ersten Struppi sowie die Nachfolge durch Struppis Sohn, der nicht mit Tim spricht und so für den schwächeren Struppi späterer Abenteuer stehen könnte, überzeugt durchaus. Verwunderlich nur, daß hier immer wieder hinzuerfunden wurde, zum Beispiel ein im Comic nicht existierender Erzschurke (Pimento, warum nicht Rastapopoulos?). Auch das wäre nicht schlimm, warum aber hat Tuten, der hier im Roman ja eher mehr als weniger Platz hat als ein Comicautor, sämtliche Nebenfiguren ausgeschlossen. Zu gerne hätte ich erfahren, wie die Schul(t)zes, Professor Bienlein und die Castafiore in diese komplettere Tim-Sicht passen. Selbst Haddock bleibt platte Comicfigur. Gerade er macht im Comic einen beachtlichen Wandel durch, vom alkoholkranken Proletenseebär zum Bildungsbürger mit erlesenem Geschmack auf Mühlenhof. Stattdessen muß sich der Leser danach auf lange Gespräche mit Settembrini und Mynheer Peeperkorn einstellen (falsch geschrieben; muß „Mijnheer“ heißen, und das in einem Roman über einen francobelgischen Helden!), die Tim als Kunstliebhaber und mit seiner Vergangenheit ringenden, nach einem Vater suchenden Jungen zeigen. Zugegeben, die völlige Inexistenz der Eltern ist bei Tim ein irritierendes Element, aber diese psychologisierende Vervollständigung wirkt etwas gezwungen und paßt auch nicht zu den frühen Abenteuern, in denen er weniger Verbrechensjäger als sich treiben lassender kolonialer Abenteurer ist. Das Ende ist noch merkwürdiger: Tim begeht ohne besonders gravierenden Anlaß einen Mord und scheint diesen im weiteren kaum zu bereuen. Also hier wird’s hanebüchen. Diese platte Ödipusparallele paßt nun wirklich überhaupt nicht zum belgischen Engel Tintin. Dramaturgisch ist es natürlich interessant, einen Helden in diese Situation zu bringen, aber ihn danach nur seiner verlorenen Liebe und seiner verlorenen Unschuld nachtrauern zu lassen, ist schlicht unstimmig. Interessanter wäre es gewesen, Tims lange Jugend zu erklären, schließlich geistert er bereits in den 20er Jahren durch die Weltgeschichte und ist in den 70ern immer noch rüstig. Handelt es sich nicht vielmehr um drei Generationen? Den kolonialen Großvater („Tim im Kongo“, 20er Jahre), den fortschrittsgläubigen Vater („Reiseziel Mond“, 50er Jahre) und den toleranten, auch übernatürlichen Einflüssen aufgeschlossenen Sohn („Flug 714 nach Sydney“, 70er)? Zugegeben, dieser Erklärungsansatz ist schon fast „donaldistisch“ (oder sollte ich sagen „tintinesk“?), aber er hätte seinen Platz in einem Roman doch durchaus haben können, oder? Fazit: Für einen Comickenner wirkt das Werk nicht umfassend, es läßt Fragen offen und verändert willkürlich an Stellen, für die bei genauem Hinsehen Informationen vorgelegen hätten. Wer es eilig hat, sollte sich auf den zitierten Traum beschränken, der ist wirklich genial. Interessant und reizvoll bleibt die Grundidee, Comichelden so zu „vervollständigen“. Wie müßten Suske und Wiske die Welt sehen, die nach unzähligen parapsychologischen Abenteuern und Zeitreisen die Zivilisation doch recht lächerlich finden dürften, wie Lucky Luke, der belgische Cowboy, dem aus unerfindlichem Grund persönliches Glück stets versagt bleibt und der gänzlich entgegen dem „American Dream“ keine feste Richtung in seinem Streben erkennen läßt, wenn man ihn nicht für den frühen Prototypen amerikanischen Weltpolizeitums nimmt. Wie sieht das Privatleben von Spirou und Fantasio aus? Was ist die genaue Gesellschaftsstruktur und Stammesgeschichte der Schlümpfe? Hat Isnogud auch romantische Interessen? Unendliche Möglichkeiten tun sich auf, eine Romanwelle mit Comichelden wäre kein Problem, hätte man die Zeit, diese zu lesen. Herod